ein El Dorado für Flüchtlinge: Merkel besucht «Retter» Sánchez Von Emilio Rappold, dpa

10.08.2018 11:57

Ministerpräsident Sánchez wird in Spanien als «Retter» Merkels in d
er
Flüchtlingsfrage tituliert. Am Wochenende besucht die Kanzlerin den
Sozialisten, der trotz gewagter Vorstöße in der Migrationspolitik
daheim noch keinen großen Widerstand spürt. Aber Kritik beginnt sich
zu regen - auch in der eigenen Partei.

Madrid (dpa) - Als der Sozialistenführer Pedro Sánchez am 1. Juni in
Spanien den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy per Misstrauensvotum
stürzte und selber in den Madrider Palacio de la Moncloa einzog, gab
es im Bundeskanzleramt sicher kaum Jubel. Rajoy galt als einer der
engsten Verbündeten Angela Merkels in Europa. Dass Sánchez nur wenig
später der Kanzlerin im Migrationsclinch mit der CSU einen großen
Rettungsring zuwerfen würde, konnte in Berlin damals ja niemand
voraussehen. Keine Überraschung ist derweil, dass Merkel jetzt
unmittelbar nach Urlaubsende ihren früheren Kritiker Sánchez in
dessen offizieller Sommerresidenz besucht.

Spanien ist seit Montag das erste EU-Land seit der Vorlage des
«Masterplans» zur Migrationspolitik von Innenminister Horst Seehofer

(CSU), mit dem Berlin ein Abkommen zur Rücknahme von Asylbewerbern
unterzeichnete. Wenn man im Moncloa-Palast nach der Bedeutung der
Vereinbarung anfragt, dann spricht man dort von einer «Geste» zur
Unterstützung Merkels, da man nur mit kaum mehr als hundert
Rücküberstellungen pro Jahr rechne.

Das Thema Migration soll auch beim informellen Treffen am Samstag und
Sonntag in der Finca Las Marismillas im Nationalpark Doñana rund 50
Kilometer südwestlich von Sevilla im Mittelpunkt stehen. In dieser
Frage hätten Berlin und Madrid «einen gemeinsamen Ansatz», betont die

neue spanische Regierung.

Anders als sein Vorgänger, der zauderte und zögerte, fährt Sánchez

als frischgebackener Regierungschef in der Migrationspolitik einen
mutigen Kurs. Seitdem Italien und Malta im Juni den privaten
Seenotrettern die Einfahrt in ihre Häfen verweigerten, ist es
Spanien, das sich der vor der libyschen Küste geborgenen Flüchtlinge
immer wieder annimmt.

Es begann am 17. Juni mit der spektakulären Aufnahme der 629
Geretteten der «Aquarius». Zuletzt musste die Organisation Proactiva
Open Arms drei Mal nach Spanien fahren: Zunächst mit 60 Geretteten,
die nach Barcelona gebracht wurden. Dann mit einer Überlebenden und
zwei Leichen an Bord, die auf Mallorca in Empfang genommen wurden.
Und erst am Donnerstag lief das Schiff «Open Arms» mit 87 Migranten
an Bord in die Bucht von Algeciras ein.

Daneben beschloss Sánchez, die (rund 800 000) illegal in Spanien
lebenden Menschen wieder ins Gesundheitssystem aufzunehmen. Rajoy
hatte sie 2012 ausgeschlossen. Zeichen setzte Madrid auch mit der
Ankündigung von Innenminister Fernando Grande-Marlaska, die
umstrittenen messerscharfen Klingen an den Grenzzäunen der
Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla zu entfernen. «Es gibt weniger
grausame Methoden», sagte der Minister.

Wird Spanien damit vom Urlauber- auch zum Flüchtlings-El-Dorado? Und
kann sich Sánchez, der nur mit einer Minderheit der Parlamentssitze
regiert, diese gewagten Vorstöße innenpolitisch leisten? Berechtigte
Fragen, zumal Spanien Italien als Hauptziel jener Migranten abgelöst
hat, die auf dem Seewege die EU erreichen.

Nach jüngsten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration
(IOM) sind dieses Jahr bis zum 5. August von Nordafrika aus insgesamt
23 741 Flüchtlinge auf dem Seeweg in Spanien angekommen. Das sind
bereits mehr als im Gesamtjahr 2017 (ca. 21 600). Auf EU-Territorium
gelangen illegale Migranten aber auch, indem sie oft zu Hunderten
nach Ceuta und Melilla an der Nordküste Afrikas stürmen.

Die Spanier haben (anders als in anderen EU-Ländern) bisher kaum
protestiert. Im Gegenteil: An Rathäusern prangen große Plakate mit
der Aufschrift «Flüchtlinge willkommen!». Supermarktketten spenden
Lebensmittel und andere Dinge, Tausende Bürger melden sich bei den
Behörden, um Flüchtlinge - vor allem Frauen, Jugendliche oder Kinde
r
- aufzunehmen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Das spanische Flüchtlingshilfswerk CEAR klagt, dass 2017 in Spanien
nur 35 Prozent von 13 850 Asylanträge positiv beschieden wurden. Die
Quote liege damit rund zehn Punkte unter EU-Schnitt. Die abgewiesenen
Migranten werden in ihre Heimatländer zurückgeschickt.
Menschenrechtsgruppen monieren die «menschenunwürdigen» Zuständen
in
den total überfüllten Internierungszentren (CIE) und
Erstaufnahmezentren (CAR), in denen Migranten oft Monate lang
ausharren müssen.

Die einflussreichen konservativen Medien und die rechte Opposition
klagen, Spanien erlebe aufgrund «der Lockwirkung» der Politik der
Sozialisten eine «Flüchtlingslawine». Kritik gegen Sánchez regt sic
h
aber auch bereits in den eigenen Reihen. Nach der Ankunft des letzten
Rettungsschiffes von Proactiva Open Arms beschwerte sich die
sozialistische Regionalregierung Andalusiens am Donnerstag erstmals
über zu geringe Finanzhilfe aus Madrid. Die Verteilung der zu
Tausenden in Andalusien eintreffenden Migranten auf andere Regionen
Spaniens müsse zudem besser koordiniert werden.

Es ist nicht auszuschließen, dass die paar Dutzend Menschen, die am
Donnerstag anlässlich der Ankunft des Rettungsschiffes an einer
Protestkundgebung der kleinen ultrarechten Partei Vox in Algeciras
teilnahmen und ausländerfeindliche Parolen riefen, bald überall in
Spanien Zulauf bekommen - vor allem in Andalusien, einer der ärmsten
Regionen des Landes. Dass das mit Berlin unterzeichnete Abkommen dazu
beiträgt, glaubt man in Madrid allerdings nicht.

Sánchez, der zu Hoch-Zeiten der Eurokrise Merkel und die von der
Kanzlerin propagierte Sparpolitik scharf kritisiert hatte und nun von
Medien daheim süffisant als «Retter» Berlins tituliert wird,
versuchte dem Abkommen Zündstoff zu nehmen: Deutschland habe sich
dazu verpflichtet, die Kosten für die Rücküberstellung der Migranten

zu übernehmen, und wolle Spanien auch beim Schutz der Außengrenze der
EU finanziell unterstützen, versicherte er.

«Das Wichtige der Vereinbarung ist nicht die Anzahl (der Migranten,
die Deutschland zurückschicken wird), sondern die Philosophie, die
dahintersteckt», sagte der Generalsekretär für Internationale
Angelegenheiten der Regierung, José Manuel Albares. Die Flüchtlinge
seien nicht Sache von Deutschland oder Spanien, sondern von ganz
Europa. Man müsse sich gegenseitig helfen.