Happy End nach Drama-Jahren? Griechen verlassen bald Rettungsschirm Von Takis Tsafos und Alkimos Sartoros, dpa

17.08.2018 08:10

Fast ein Jahrzehnt lastete Griechenlands Finanz-Drama auf Europa. Der
Zusammenbruch des Euro oder ein Austritt aus der Gemeinschaftswährung
schien denkbar. Nach strikten Sparprogrammen und Milliardenkrediten
muss das Land in Kürze selbst zurechtkommen.

Athen/Brüssel (dpa) - Griechenlands Ex-Regierungschef Giorgos
Papandreou hatte es geahnt: «Uns steht eine neue Odyssee bevor»,
sagte der Sozialist, als er am 23. April 2010 von der malerischen
Insel Kastellorizo einen Hilferuf an die EU und den Internationalen
Währungsfonds (IWF) richtete. Sein Land stand damals kurz vor dem
finanziellen Kollaps. Es folgte ein in der Geschichte der EU und des
Euro beispielloses Drama. Am Montag (20. August) läuft nun das dritte
Hilfspaket aus, danach muss Athen sich nach Jahren der Sparprogramme
und internationalen Hilfskredite wieder selbst finanzieren. Ob das
langfristig klappt, ist keineswegs sicher.

Doch der Reihe nach: Die Krise hatte viele Ursachen. Dazu gehörte
sicher maßgeblich, dass Griechenlands relativ junge Demokratie - erst
1974 stürzte die Militärdiktatur - unter Vetternwirtschaft,
Korruption und einem überbordenden Verwaltungsapparat litt.

Vor allem nach dem Euro-Beitritt 2002 und in den Jahren vor 2010
überstiegen die Staatsausgaben die Einnahmen erheblich, wegen
undurchsichtiger Statistiken jedoch war das Ausmaß der Verschuldung
lange unklar. Papandreou konnte noch 2009 die Wahlen mit dem Slogan
«Geld gibt es» für sich entscheiden.

Nach seinem Hilferuf 2010 hoben die Euro-Partner praktisch aus dem
Stegreif ein erstes Hilfsprogramm von 80 Milliarden Euro aus der
Taufe - im Gegenzug für erste Reform- und Sparmaßnahmen. Die
Europäische Union war auf eine solche Situation kaum vorbereitet,
Angst vor einer «Ansteckung» der gesamten Eurozone griff um sich. Im
EU-Binnenmarkt waren die Wirtschaft und vor allem die Banken des
Landes mit dem Rest Europas verflochten.

Derweil verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage in Griechenland
zunehmend. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf mehr als 25 Prozent
hoch, die Bürger verloren teils mehr als ein Viertel ihres
Einkommens. Die Sozialisten brachen in der Gunst der Wähler ein, im
Zentrum Athens kamen bei Gewaltausbrüchen während großer
Demonstrationen mehrere Menschen ums Leben.

Im Juni 2012 kam dann die konservative Nea Dimokratia (ND) mit
Antonis Samaras an die Macht. Der setzte das zweite Spar- und
Reformprogramm mit damit verbundenen Krediten in Höhe von 144,7
Milliarden Euro um - gegen oft erbitterten Widerstand in der
Bevölkerung. Bei Demonstrationen in Athen brannten Gebäude, immer
wieder kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und
der Polizei. Die «Troika» aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank

(EZB) und IWF, die die Sparprogramme überwachte, wurde für große
Teile der Bevölkerung zum Feindbild. Gleiches galt für den damaligen
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Von der Stimmung profitierte ein neuer Politstar: Der 1974 geborene
Alexis Tsipras gewann mit seiner ursprünglich kleinen Linkspartei
Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) an Popularität. «Alexis», wie

ihn seine Anhänger nennen, versprach ein Ende aller Sparprogramme. Im
Januar 2015 gewann Tsipras die Wahlen und bildete zusammen mit einer
kleinen rechtspopulistischen Partei die erste linksgeführte Regierung
der Geschichte des modernen griechischen Staates. Viele von der
Finanzkrise zermürbte Bürger schenkten ihm ihr Vertrauen.

Tsipras verfolgte fortan eine einfache Strategie. Die Sparprogramme
sollten abgeschafft werden, Griechenland praktisch bedingungslos
unter die Arme gegriffen werden, weil sonst die gesamte Eurozone ins
Wanken geraten würde. Zum größten Verfechter dieser Maßgabe
entwickelte sich sein damaliger Finanzminister, Gianis Varoufakis.

Was folgte, waren schier endlose Nachtsitzungen in Brüssel und
Streitigkeiten zwischen Varoufakis und fast allen Finanzministern der
Eurogruppe, allen voran Schäuble und der damalige Eurogruppen-Chef
Jeroen Dijsselbloem. Tsipras ging so weit, im Sommer 2015 Kredite des
IWF nicht rechtzeitig zurückzuzahlen. Im Juli stellte er dann die
Bevölkerung bei einem Referendum vor die Frage, ob sie ein weiteres
Sparprogramm akzeptieren würde. Die Antwort war eindeutig: nein.

Um eine Staatspleite und ein mögliches Ausscheiden aus der Eurozone
abzuwenden, vollführte Tsipras jedoch eine politische Kehrtwende. Er
entließ Varoufakis und akzeptierte ein striktes drittes Sparprogramm.
Um diesen Schritt zu legitimieren, rief er vorgezogene Wahlen aus,
die er im September 2015 für sich entschied.

Von diesem Zeitpunkt an verfolgte er eine neue Linie. Die geforderten
Spar- und Reformmaßnahmen setzte er praktisch klaglos um, kürzte
Renten und erhöhte Steuern. «Man kann uns vorwerfen, dass wir uns
selbst getäuscht haben», erklärte er zu dieser Wende. Es sei
vielleicht illusorisch gewesen, dass die internationalen Geldgeber
nachgeben würden. «Wir haben aber nicht gelogen.»

Tsipras steht nun vor neuen Problemen. In Umfragen liegt er
inzwischen etwa 10 Prozentpunkte hinter den Konservativen. Viele
Griechen spüren nichts vom jüngst leichten Wirtschaftswachstum. Noch
immer ist fast jeder Fünfte arbeitslos. Mehr als 400 000 gut
ausgebildete junge Menschen haben das Land verlassen.

«Der griechische Patient ist nicht endgültig genesen», sagt der
Wirtschaftsprofessor der Universität Athen, Panagiotis Petrakis. «Die
Finanzmärkte werden bewerten, ob die Finanzspritzen und die
Reformprogramme wirksam waren, oder ob andere Lösungen und ein
Schuldenschnitt notwendig sind.»

Entscheidend dürfte sein, ob Griechenland künftig genug Investitionen
sichern kann. In den nächsten Monaten muss Athen zudem noch
intensivere Kontrollen der Euro-Partner dulden. Abweichungen vom
Reformkurs sollen damit früh registriert werden. Für den Schritt aus
dem Hilfsprogramm stehen nun außerdem 24 Milliarden Euro von den
Gläubigern und aus eigenen Mitteln bereit. Knapp zwei Jahre könnte
Athen sich damit im äußersten Fall finanzieren.

Doch das Land muss nun viel länger Kurs halten. Noch immer türmt sich
in Athen ein gewaltiger Schuldenberg in Höhe von etwa 180 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts - der mit Abstand der höchste Wert in Europa.
Seit Beginn der Krise ist sowohl die Wirtschaftskraft des Landes als
auch das Pro-Kopf-Einkommen deutlich geschrumpft.

Bis 2022 muss Athen nach der Einigung mit der Eurogruppe jährlich im
Haushalt 3,5 Prozent Primärüberschuss - also ohne Ausgaben zum
Schuldendienst - erzielen. Bis 2060 soll er dann bei 2,2 Prozent
liegen. In der griechischen Finanzpresse mehren sich Zweifel, ob das
realistisch sei. «Die schwierigen Entscheidungen werden wieder einmal
verschoben», sagt ein hoher Funktionär des Athener Finanzministeriums
mit Blick auf mögliche Schuldenerleichterungen. Nach derzeitigem Plan
will sich die Eurogruppe im Jahr 2032 wieder mit Griechenland
beschäftigen. Im schlimmsten Fall könnte es viel früher nötig werde
n.