Zeitumstellung ade? Wie es nach dem Rekord der EU-Umfrage weitergeht Von Michel Winde, dpa

17.08.2018 14:56

Das Interesse war riesig: Mehrere Millionen Europäer nahmen an einer
EU-weiten Online-Umfrage zur Zeitumstellung teil. In der Nacht zum
Freitag ist sie zu Ende gegangen. Haben die Bürger in der Diskussion
um den Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit das letzte Wort?

Brüssel (dpa) - Die einen freuen sich über lange Sommerabende, andere
klagen über den Eingriff in ihren Biorhythmus. Mindestens zweimal
im Jahr kocht die Diskussion um die Zeitumstellung hoch. Die
EU-Kommission hat nun die Europäer gefragt, was sie vom Wechsel
zwischen Sommer- und Winterzeit halten. Nach rund sechs Wochen lief
die Online-Umfrage in der Nacht zum Freitag aus. Sie zeigt, wie sehr
das Thema mobilisiert: Einem Sprecher der EU-Kommission zufolge sind
mehr als 4,6 Millionen Antworten eingegangen - ein Rekord. Wie könnte
es jetzt weitergehen? Fragen und Antworten im Überblick:

Warum gab es diese Bürger-Konsultation überhaupt?

Die Zeitumstellung ist schon lange umstritten. Zuletzt machte das
Europaparlament Druck. Die Abgeordneten forderten die EU-Kommission
im Februar dazu auf, Vor- und Nachteile unter die Lupe zu nehmen -
und die Regelung gegebenenfalls abzuschaffen. Aber auch mehrere
EU-Länder äußerten Bedenken. Litauen, Estland und Lettland sprachen
sich ebenso für eine Abschaffung aus wie Finnland.

Anfang Juli schaltete die EU-Kommission die Online-Befragung frei.
EU-Bürger konnten angeben, ob sie künftig ohne Zeitumstellung leben
möchten - und wenn ja, ob sie Winter- oder Sommerzeit bevorzugen. Auf
Grundlage der Ergebnisse sowie anderer Studien und Meinungen will die
Brüsseler Behörde entscheiden, ob sie einen Vorschlag zur Abschaffung
der Zeitumstellung vorlegt. Sollte die Zeitumstellung in der EU
abgeschafft werden, könnte jedes Land für sich entscheiden, ob es
dauerhaft die Sommer- oder Winterzeit haben will.

Warum gibt es diesen Wechsel?

Das Tageslicht soll so besser genutzt werden. In Deutschland gab es
die Sommerzeit schon mehrfach. Zuletzt wurde sie 1980 wieder
eingeführt. Unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973 hatte man die
Hoffnung, so Energie sparen zu können. Ein weiterer Grund war die
Anpassung an die Nachbarländer, die diese Regelung schon hatten. Seit
1996 gibt es eine einheitliche EU-weite Regelung. Seitdem beginnt die
Sommerzeit Ende März und hört Ende Oktober auf. In dieser Zeit ist es
abends eine Stunde länger hell - ein Plus für jede Gartenparty.

Was versprechen sich Gegner der Zeitumstellung von einer Abschaffung?

Sie argumentieren, dass tatsächlich keine Energie gespart wird. So
schalten die Deutschen laut Umweltbundesamt zwar im Sommer wegen der
Zeitumstellung abends seltener das Licht an - im Frühjahr und Herbst
wird morgens allerdings mehr geheizt. Mediziner sehen zudem Risiken
für die Gesundheit. Empfindsame Menschen könnten Probleme mit dem Hin
und Her haben - samt Schlafstörungen und Appetitlosigkeit. Die
EU-Kommission betont indes, es lägen noch keine eindeutigen
Erkenntnisse «über die Gesamtwirkung auf die Gesundheit» vor.

Kritiker führen auch wirtschaftliche Folgen, etwa für Landwirte, auf.
Diese Befürchtungen dürften laut EU-Kommission dank neuer Technologie
jedoch «weitgehend gegenstandslos geworden sein».

Was halten die Deutschen von der Zeitumstellung?

Nicht viel. 73 Prozent der Befragten sind einer repräsentativen
Studie des Forsa-Instituts dagegen. In der Umfrage im Auftrag der
DAK-Gesundheit gab rund ein Viertel der Befragten im Frühjahr an,
schon einmal gesundheitliche Probleme nach dem Wechsel zwischen
Winter- und Sommerzeit gehabt zu haben. Die Bundesregierung hat sich
zu dem Thema bislang nicht eindeutig positioniert.

Wie spät es ist, ist in der EU nicht einheitlich - weshalb?

Unabhängig von der Sommer- und Winterzeit gibt es in der EU drei
Zeitzonen. In Deutschland und 16 weiteren Staaten herrscht die
gleiche Uhrzeit (MEZ, Mitteleuropäische Zeit) - unter ihnen sind die
Niederlande, Belgien, Österreich, Dänemark, Frankreich, Italien,
Kroatien, Polen und Spanien. Acht Länder (Bulgarien, Estland,
Finnland, Griechenland, Lettland, Litauen, Rumänien und Zypern) sind
eine Stunde voraus (OEZ, Osteuropäische Zeit), drei Staaten eine
Stunde zurück (Irland, Portugal und Großbritannien; WEZ,
Westeuropäische Zeit). Die Entscheidung über die Standardzeit ist
eine nationale Angelegenheit und würde von einer Abschaffung der
Zeitumstellung nicht berührt.

Wie war das Echo auf die Bürger-Konsultation? 

Riesig. Einem Sprecher der EU-Kommission zufolge sind mehr als 4,6
Millionen Antworten eingegangen. Im Vergleich zu anderen
Bürgerbefragungen ist das ein Rekord mit großem Abstand. Bisher lag
der Spitzenwert 2015 bei 550 000 Antworten. Damals ging es um Natur-
und Tierschutz. Bei der Sommerzeit-Umfrage waren allein in den ersten
drei Tagen mehr als 500 000 Fragebögen ausgefüllt worden. Bis das
Ergebnis veröffentlicht wird, werde es noch mehrere Wochen dauern,
sagte der Sprecher.

Es wird jedoch damit gerechnet, dass sich die Mehrheit für eine
Abschaffung der Zeitumstellung ausspricht - weil Anhänger des Status
quo meist weniger motiviert sind, sich freiwillig zu beteiligen.

Haben die EU-Bürger in Sachen Zeitumstellung das letzte Wort?

Mitnichten. Die EU-Kommission warnt davor, der Umfrage zu viel
Bedeutung beizumessen, oder sie gar als eine Art Referendum zu
verstehen. Sie sei nur ein Teil der Bewertung. Sollte die Behörde
unter Berücksichtigung aller Faktoren zu dem Schluss kommen, dass die
Zeitumstellung abgeschafft werden sollte, könnte sie allerdings einen
entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen. Dem müssten die EU-Staaten
und das Europaparlament dann noch zustimmen.