Beziehung in Trümmern: Rom auf Konfrontationskurs mit Brüssel Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

17.08.2018 15:05

Nach dem Brücken-Unglück von Genua sucht Innenminister Salvini die
Schuld auch bei der EU. Das passt ins Bild: Die neue italienische
Regierung lag von Anfang an mit Brüssel über Kreuz. Und die erste
wirkliche Machtprobe steht erst noch bevor.

Brüssel/Rom (dpa) - So viele marode Schulen, so viele Krankenhäuser,
Bahnstrecken, Autobahnen, die dringend saniert werden müssen - aber
Italien darf wegen «verrückter europäischer Vorgaben» kein Geld
ausgeben: So sieht Innenminister Matteo Salvini die Lage nach der
Brücken-Katastrophe von Genua. Das nächste Budget müsse Wohl und
Sicherheit der Italiener in den Mittelpunkt stellen. «Die Vorgaben
sind nachrangig, bei allem Respekt», sagt der Chef der rechten Partei
Lega.

Es ist eine Kampfansage des Vizeregierungschefs an die EU und ihre
Haushaltsregeln - und es ist bei weitem nicht die erste oder einzige.
Schon vor Amtsantritt der Regierung aus rechter Lega und
populistischer Fünf-Sterne-Bewegung am 1. Juni flogen die Fetzen
zwischen Rom und Brüssel. Dann schaffte Italien in der
Flüchtlingspolitik einseitig Fakten und setzte die EU-Partner damit
massiv unter Druck - auch Deutschland. Es sind schwierige Zeiten im
Umgang mit dem EU-Gründungsstaat, der drittgrößten Wirtschaftsmacht
der Eurozone. Und sie dürften in den nächsten Wochen noch weit
ungemütlicher werden.

Salvinis Vorwurf, Italien könne wegen Brüsseler Sparauflagen seine
Infrastruktur nicht sanieren, konterte die EU zurückhaltend. Es sei
ja menschlich, nach der Katastrophe von Genua einen Schuldigen zu
suchen, twitterte Haushaltskommissar Günther Oettinger. «Trotzdem
gut, sich die Fakten anzuschauen.» Italien habe 2,5 Milliarden Euro
aus EU-Regionaltöpfen für Straßen und Bahnen bekommen, zwölf
Milliarden an EU-Investitionshilfen und grünes Licht für 8,5
Milliarden Euro eigener Investitionen - ergo eine Menge Geld, Bagger,
Kräne und Teermaschinen zu bestellen.

Weitere Belehrungen verkniff sich der deutsche Kommissar diesmal,
zumal er Salvini kurz vor der Regierungsbildung im Mai mit einem
Fernsehinterview in Rage versetzt hatte. Oettinger hatte gemutmaßt,
dass die Finanzmärkte und die Konjunktur in Italien so negativ auf
die gewagten Wahlversprechen der angehenden Koalitionsparteien
Fünf-Sterne-Bewegung und Lega reagieren würden, «dass dies für die

Wähler doch ein mögliches Signal ist, nicht Populisten von links und
rechts zu wählen». Salvini sprach umgehend von Beleidigung und
Drohung und twitterte trotzig: «Ich habe keine Angst.»

Dem Motto ist der Chef der fremdenfeindlichen Lega treu geblieben.
Kurz nach Amtsantritt begann er, italienische Häfen für Schiffe
privater Flüchtlingsretter zu sperren - ohne große Rücksicht auf
Folgen für andere EU-Länder. Mehrfach irrten daraufhin Kapitäne mit
geretteten Bootsflüchtlingen übers Mittelmeer, bis sich Deutschland
und eine Handvoll weiterer EU-Staaten zur Aufnahme von jeweils ein
paar Dutzend Menschen überreden ließen. Dann drohte Italien, sogar
Schiffe der EU-Mission Sophia nicht mehr einlaufen zu lassen. Die
Partner reagierten alarmiert und suchen noch nach einer Lösung.

Schon den EU-Gipfel im Juni hatte Regierungschef Giuseppe Conte mit
einer Blockadedrohung an den Rand des Scheiterns gebracht. Der dann
nächtens ausgehandelte Migrations-Kompromiss mit Aufnahmelagern in
der EU und Nordafrika ist von einer Umsetzung weit entfernt. Neue
Regeln zur Umverteilung von Asylbewerbern in Europa ebenfalls.
Genauso wie das von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewünschte
Rücknahmeabkommen für in Italien registrierte Ankömmlinge. Das werde

«noch etwas dauern», räumte Merkel jetzt ein. Kompromisssignale aus
Rom sind kaum erkennbar.

Salvini setzt stattdessen auf das Motto «Viel Feind, viel Ehr». Diese
verbale Anleihe beim faschistischen Diktator Benito Mussolini trug
ihm zwar Ende Juli auch in Italien Ärger ein. Doch in seinem Kurs
darf sich der Hardliner bestätigt fühlen: In einer Wahlumfrage Ende
Juni erreichte seine Lega ein Rekordhoch von gut 31 Prozent, fast
doppelt so viel wie ihr Stimmanteil bei der Wahl am 4. März. Für die
EU macht das die Dinge nicht einfacher.

Die erste wirklich kritische Machtprobe steht im Herbst an: die
Haushaltsplanung im bereits mit rund 130 Prozent der Wirtschaftskraft
überschuldeten Italien. Lega und Fünf-Sterne-Bewegung haben in ihrem
Wahlkampf im Frühjahr Versprechen gemacht, die sich nach Berechnungen
der Commerzbank auf mehr als 100 Milliarden Euro summieren - von
Steuersenkungen über eine frühere Rente bis zum Bürgereinkommen.

«Wir gehen davon aus, dass die Regierungsparteien ihre Versprechen zu
einem beträchtlichen Teil umsetzen werden», schreiben die
Commerzbank-Analysten. Die Kehrseite: ein erwartetes Haushaltsdefizit
von «gut und gerne vier Prozent» des Bruttoinlandsprodukts. Das liegt
nicht nur deutlich über der europäischen Defizitgrenze von drei
Prozent, sondern noch viel mehr über verbindlichen Zusagen früherer
italienischer Regierungen, den Fehlbetrag 2018 auf 1,6 und 2019 auf
0,8 Prozent des BIP zu drücken.

Darauf müsste die EU-Kommission als Hüterin der EU-Regeln reagieren,
zumindest mit deutlicher Kritik, mutmaßen die Commerzbank-Experten.
«In dem darauf sicherlich folgenden Schlagabtausch zwischen Rom und
Brüssel könnten die Gemüter leicht überkochen und die Situation
eskalieren.»