Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn? Weber setzt Orban unter Druck

10.09.2018 16:20

«Hexenjagd», «Racheversuch», «Lügen»: Ungarns Regierung zeigt
sich
empört über Versuche des EU-Parlaments, ein Strafverfahren gegen das
Land einzuleiten. Doch kurz vor der entscheidenden Abstimmung fordert
auch ein Parteifreund Zugeständnisse von Ungarns Ministerpräsidenten.

Straßburg (dpa) - Der christsoziale Europapolitiker Manfred Weber hat
Ungarn vor einem EU-Rechtsstaatsverfahren gewarnt, sollte
Ministerpräsident Viktor Orban keinen Kurswechsel einleiten. Er sagte
der «Bild»-Zeitung (Montag), er erwarte von Orban, «dass dieser auf
die EU-Partner zugehe und Kompromissbereitschaft erkennen lasse. Wenn
das nicht geschieht, müssen wir in der EVP sagen: «Unsere Werte sind
für uns nicht verhandelbar.»»

Die ungarische Regierung bezeichnete derweil am Montag das drohende
Strafverfahren als eine «Hexenjagd» und einen «Racheversuch», weil

das Land sich weigere, Migranten aufzunehmen.

Hintergrund ist eine anstehende Abstimmung im EU-Parlament. Am
Mittwoch entscheiden die Abgeordneten, ob gegen Ungarn - wie schon
gegen Polen - ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der
EU-Verträge eingeleitet wird. Nötig wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Das Verfahren könnte im äußersten Fall dazu führen, dass Ungarn
Stimmrechte im Ministerrat verliert. Ob das Verfahren kommt, hängt
entscheidend von den Stimmen der EVP ab, zu der auch die Abgeordneten
von Orbans rechtsnationaler Fidesz-Partei gehören.

Die Abstimmung im EU-Parlament geht auf einen kritischen Bericht der
Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini zurück, die in dem Papier eine
«systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und
der Grundrechte in Ungarn» anprangert. Der Bericht verweist unter
anderem auf Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit
sowie auf eine Schwächung des Verfassungs- und Justizsystems. Darüber
hinaus nennt die Autorin Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten
und Flüchtlingen sowie Korruption und Interessenkonflikte. Orban will
am Dienstag in einer Debatte mit den Parlamentariern auf die Vorwürfe
antworten.

Der Text sei «eine Sammlung ausgewiesener Lügen», sagte Ungarns
Außenminister Peter Szijjarto am Montag in Budapest. Er fügte hinzu:
«Der Bericht ist ein unwürdiger Angriff gegen Ungarn, ein
Racheversuch, weil Ungarn seine Grenzen schützt und nicht bereit ist,
illegale Migranten aufzunehmen.»

Derzeit spricht wenig dafür, dass sich Orban auf allzu weitreichende
Kompromisse einlassen wird, um eine größere Zahl von EVP-Abgeordneten
auf seine Seite zu ziehen. Der Sprecher der ungarischen Regierung
Zoltan Kovacs sagte am Montag vor Journalisten in Brüssel, gegen
Ungarn laufe eine «Hexenjagd». «Das ist ein verzweifelter Versuch der

migrationsfreundlichen politischen Gruppen, Ungarn vor Gericht zu
stellen.»

Die EVP-Abgeordneten wollen sich nach Angaben aus der Fraktion am
Dienstagabend - nach Orbans Auftritt im Parlament - über eine
gemeinsame Position abstimmen.

Auf die Frage, ob die Fidesz-Partei der EVP-Fraktion den Rücken
kehren könnte, antwortete Kovacs: «Es bestand nie die Absicht und es
besteht auch nicht die Absicht, die EVP zu verlassen.» Vielmehr würde
die ungarische Perspektive der Fraktion helfen, weiterhin die
stärkste politische Kraft zu bleiben. Im Mai 2019 wird das
EU-Parlament neu gewählt.