Nach Brexit-Eklat Nervosität auf beiden Seiten

22.09.2018 14:13

Scheitern die Gespräche über einen geordneten EU-Austritt
Großbritanniens noch auf den letzten Metern? Die Lage scheint nach
dem EU-Gipfel von Salzburg angespannt.

London/Brüssel (dpa) - Nach der Absage der Europäischen Union an die
britischen Brexit-Pläne wächst auf beiden Seiten die Nervosität. Der

britischen Premierministerin Theresa May droht nach Medienberichten
der Rücktritt weiterer Minister, falls sie nicht bis Montag einen
«Plan B» auf den Tisch legt. Der EU-Brexit-Experte Elmar Brok
schätzte am Samstag die Chancen auf eine rechtzeitige Einigung mit
London auf nur noch 50 Prozent.

Die 27 bleibenden EU-Länder hatten bei einem Gipfel in Salzburg diese
Woche Mays Ideen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit nach dem
EU-Austritt im März 2019 zurückgewiesen. May wertete dies als Affront
und verlangte in scharfen Worten mehr Respekt und neue Vorschläge aus
Brüssel. EU-Ratschef Donald Tusk reagierte verwundert, da die Haltung
der EU seit Wochen bekannt gewesen sei. Er pocht nach wie vor auf
einen Kompromiss. Ziel beider Seiten bleibt, bis Mitte Oktober einen
Austrittsvertrag fertig zu haben, um einen harten Bruch auch mit
Hilfe Übergangsphase zu vermeiden.

Der britische Außenminister Jeremy Hunt mahnte die EU-Politiker am
Samstag in einem BBC-Interview, «britische Höflichkeit nicht mit
Schwäche zu verwechseln». Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen
äußerte seinerseits Verständnis für die harschen Worte aus London u
nd
sagte der «Rheinischen Post»: «Es war ein Fehler der anderen
EU-Staats- und Regierungschefs, die britische Premierministerin in
Salzburg bis zur Grenze der Erniedrigung zu brüskieren». Mit der
Zurückweisung stürze die EU die britische Politik endgültig ins
Chaos.

Der CDU-Europapolitiker Brok sieht indes genau Mays fehlenden
Rückhalt in den eigenen Reihen als Grund für die Brexit-Blockade. «Es

ist schwierig, einen Verhandlungspartner zu haben, wo der
Chefverhandler, die Premierministerin selbst, in der eigenen Partei,
in der eigenen Fraktion und im Parlament keine gesicherte Mehrheit
hat», sagte Brok im Deutschlandfunk.

Tatsächlich droht May innenpolitisch neuer Ärger. Der britische
«Telegraph» berichtete - allerdings ohne näher genannte Quelle -,
schon am Montag stehe ein Knackpunkt bevor: Entweder May lege neue
Brexit-Pläne vor oder weitere Kabinettsmitglieder könnten
zurücktreten, so etwa Arbeitsministerin Esther McVey und
Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt. Aus Protest hatten schon
Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis ihre
Ämter aufgegeben. Beide sind Brexit-Hardliner.

May steht kurz vor dem Parteitag der Konservativen besonders unter
Druck. Sie regiert seit einer verpatzten Neuwahl im vergangenen Jahr
mit einer hauchdünnen Mehrheit und ist von Revolten von mehreren
Seiten bedroht. Immer wieder wird über ihren Rücktritt spekuliert.
Die EU hofft jedoch nach Broks Worten, dass May nach überstandenem
Parteitag größere Spielräume haben wird.

Wichtigster Streitpunkt bei den Brexit-Verhandlungen ist, wie künftig
Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem
EU-Mitglied Irland vermieden werden könnten. Die ehemalige
Bürgerkriegsregion gilt als besonders fragil.

May sieht ihr Modell für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen auch
als Lösung für die Irland-Frage: Mit einer umfassenden
Freihandelszone und einer Anpassung an EU-Standards bei Waren sowie
einer besonderen Zollpartnerschaft will sie Kontrollen an den Grenzen
zur EU vermeiden. Die EU befürchtet aber, dass dies auf einen
weiteren britischen Zugang zum EU-Binnenmarkt hinausliefe, ohne dass
London die EU-Spielregeln dafür einhält. Brok erneuerte den Vorwurf
der «Rosinenpickerei».