Zweites EU-Referendum: Bereitet Labour den Exit vom Brexit vor? Von Christoph Meyer, dpa

25.09.2018 21:11

Immer mehr deutet darauf hin, dass es zu einem zweiten
Brexit-Referendum kommen könnte. Die Labour-Partei hält sich bei
ihrem Parteitag in Liverpool alle Optionen offen. Eine Abkehr vom
Brexit scheint nicht mehr unmöglich zu sein.

Liverpool (dpa) - Werden die Briten den Brexit doch noch einmal
rückgängig machen? Das zumindest könnte man glauben, wenn man die
Begeisterung für den Vorschlag eines neuen Referendums mit der Option
zur Abkehr vom Brexit auf dem Labour-Parteitag sieht.

Für ein zweites Brexit-Referendum zu werben, müsse eine Option
bleiben, ruft der Brexit-Experte der Arbeiterpartei, Keir Starmer, am
Dienstag in den Saal in Liverpool. «Niemand schließt den Verbleib (in
der EU) als Wahlmöglichkeit aus» - er erntet frenetischen Beifall,
viele Zuhörer stehen auf. In diesem Moment scheint alles möglich.

Starmer fordert zwar nicht ausdrücklich eine Abkehr vom Brexit, doch
er könnte kaum deutlicher machen, dass es ihm genau darum geht. Dass
er damit den Nerv vieler Labour-Mitglieder trifft, ist auch vor dem
Tagungszentrum im Hafen von Liverpool zu sehen: Dutzende in blau
gekleidete Menschen schwenken EU-Fahnen und halten Plakate mit der
Forderung nach einem zweiten Referendum in die Höhe.

Doch es gibt während Starmers Rede auch ratlose Gesichter in der
Menge. Labour ist tief gespalten in der Frage nach dem Brexit. Noch
am Tag zuvor hatte Schattenkanzler John McDonnell in einem
Radio-Interview ausgeschlossen, dass der Verbleib in der EU bei einem
zweiten Brexit-Referendum zur Wahl stehen könnte. McDonnell gehört
wie Labour-Chef Jeremy Corbyn zum extrem linken, EU-skeptischen Teil
der Partei. Doch für den Moment scheinen sich die Europa-Freunde um
Starmer durchgesetzt zu haben.

Ein Parteitagsbeschluss, den die Delegierten später mit großer
Mehrheit verabschieden, deutet nur sehr vage an, dass sich Labour für
ein zweites Referendum um den Brexit stark machen könnte und nur als
letzte Option. Ganz oben auf der Wunschliste steht eine Neuwahl. Doch
hört man Starmer, klingt ein zweites Referendum eher nach Plan A als
nach Plan B.

Realität werden könnte das, wenn Premierministerin Theresa May mit
einem Brexit-Deal im Parlament in Westminster scheitert. Auch das ist
inzwischen wahrscheinlicher geworden. Labour, das macht Starmer
deutlich, werde Theresa May nicht als Mehrheitsbeschaffer für ein
Brexit-Abkommen auf Grundlage ihres Chequers-Deals zur Verfügung
stehen. May kann bislang aus eigener Kraft dafür nicht auf eine
Mehrheit hoffen. Die Pläne sind bei ihren Konservativen heftig
umstritten. Auch die EU lehnt die Vorschläge ab.

Sollte der Regierung noch rechtzeitig ein Abkommen mit Brüssel
gelingen, muss sie es vor dem EU-Austritt am 29. März 2019 dem
Parlament in Westminster vorlegen. Premierministerin May hat eine
Alles-oder-nichts-Abstimmung angekündigt. Entweder die Parlamentarier
unterstützen ihren Deal oder es gibt einen Brexit ohne Abkommen - mit
möglicherweise katastrophalen Folgen für viele Lebensbereiche. Für
Starmer ist das keine sinnvolle Abstimmung. «Es geht darum, einen
zerstörerischen Tory-Brexit zu verhindern», sagt er.

Einer Umfrage zufolge wünschen sich 86 Prozent der Labourmitglieder
ein zweites Referendum zum endgültigen Brexit-Abkommen. 90 Prozent
würden heute für einen Verbleib Großbritanniens in der EU stimmen,
ergab die YouGov-Befragung von 1000 Labour-Mitgliedern im Auftrag der
Zeitung «The Observer». In der Gesamtbevölkerung dagegen scheint es
Umfrage zufolge nach wie vor keine klare Mehrheit für einen Exit vom
Brexit zu geben.