Vor EU-Gipfel zu Brexit: Zwischen Optimismus und Pessimismus

16.10.2018 03:56

Die britische Premierministerin May gibt sich optimistisch, dass bald
ein Brexit-Abkommen möglich ist. EU-Ratspräsident Tusk wiederum
meint, ein Brexit ohne Abkommen sei «wahrscheinlicher denn je».

Brüssel/London (dpa) - Vor den Brexit-Verhandlungen beim EU-Gipfel
schwankt die Stimmung zwischen Optimismus und Pessimismus. Trotz des
jüngsten Rückschlags bei den Gesprächen zwischen Großbritannien und

der Europäischen Union am Wochenende zeigte sich die britische
Premierministerin Theresa May am Montag optimistisch, dass noch eine
Einigung erzielt werden könne.

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte dagegen in seinem
Einladungsschreiben zu dem Gipfel, ein Brexit ohne Abkommen sei
«wahrscheinlicher denn je». Eine Einigung zu finden, habe sich als
«komplizierter herausgestellt, als einige erwartet haben». Trotzdem
sollte die Hoffnung nicht aufgegeben werden. Es gebe auf beiden
Seiten guten Willen, die Gespräche fortzuführen.

May sah bei einem Auftritt im Parlament in London Lichtblicke. Die
Konturen eines Austrittsabkommens seien nun klar. Es habe «echten
Fortschritt» gegeben bei den Brexit-Gesprächen, sagte sie. Ein
Abkommen sei das beste Ergebnis für Großbritannien und die EU. Sie
glaube, dass es zu erreichen sei. «Es ist Zeit, dass ruhige, kühle
Köpfe die Oberhand behalten.»

Am Dienstag will May bei einer Kabinettssitzung ihre Minister auf
einen Kompromiss mit Brüssel einschwören. Bereits vergangene Woche
hatte es Gerüchte gegeben, mehrere Kabinettsmitglieder könnten ihr
Amt niederlegen, sollte May zu weit auf die Forderungen der EU
eingehen. Im Juli waren der damalige Brexit-Minister David Davis und
Außenminister Boris Johnson im Streit um Mays Brexit-Pläne
zurückgetreten.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz gab sich vorsichtig
optimistisch zu den Brexit-Verhandlungen. Es gebe Fortschritte, sagte
Kurz am Montagabend in Den Haag nach einem Treffen mit seinem
niederländischen Kollegen Mark Rutte. Österreich hält zur Zeit die
Ratspräsidentschaft der EU. Man müsse die derzeit stockenden
Gespräche nicht so negativ sehen. «Die Situation könnte schlimmer
sein.»

Auch Rutte äußerte sich verhalten positiv. Es sei aber unklar, ob es
schon in dieser Woche einen Durchbruch geben könne. «Wir sind sehr
nahe», sagte der Rechtsliberale. «Aber es ist schwierig.»

Auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sah noch Möglichkeiten zu
einer Lösung. Er glaube an die «kollektive Intelligenz», sagte
Macron. «Ich glaube, dass man vorankommen kann», fügte er hinzu.
Dennoch sei Frankreich auf «alle Szenarien» vorbereitet.

Am Wochenende war den Unterhändlern beider Seiten trotz intensiver
Verhandlungen nicht der erhoffte Durchbruch für ein Austrittsabkommen
gelungen. Wichtigste Hürde ist immer noch die Frage, wie Kontrollen
an der künftigen EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem
britischen Nordirland vermieden werden können. Die EU macht dies zur
Bedingung für einen Vertrag, der den Brexit regeln und die Folgen mit
einer knapp zweijährigen Übergangsphase abpuffern soll.

Beim EU-Gipfel am Mittwoch könnte eine Vorentscheidung fallen. Aus
EU-Kreisen hieß es, May könnte dort selbst mit den 27 übrigen
EU-Staats- und Regierungschefs eine Lösung suchen. Der Brexit sei nun
Chefsache. Doch selbst wenn es am Mittwoch oder in den Wochen darauf
zu einer Einigung kommen sollte, ist fraglich, ob May dafür eine
Mehrheit im Parlament bekommt oder gar von den Brexit-Hardlinern in
der eigenen Partei gestürzt wird.

An der höchst komplizierten Irland-Frage arbeiten sich beide Seiten
seit Monaten vergeblich ab. Auf der irischen Insel entsteht durch den
Brexit eine EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und der
britischen Provinz Nordirland. Schlagbäume und Kontrollen wollen
beide Seiten aber vermeiden - aus Furcht vor neuen Konflikten in der
früheren Bürgerkriegsregion bei einer Teilung der Insel.