Der Brexit und andere harte Nüsse: EU steckt bei Streitthemen fest Von Verena Schmitt-Roschmann, Michel Winde und Ansgar Haase, dpa

18.10.2018 18:07

Brexit, Brexit, Brexit - und sonst? In der EU gibt es auch andere
Großbaustellen. Aber im Moment fehlt der Gemeinschaft offenbar die
Kraft für einen echten Durchbruch.

Brüssel (dpa) - Große Themen, kleine Schritte. Nicht nur der Streit
mit Großbritannien über den Brexit wächst sich für die Europäisch
e
Union zur Dauerkrise aus. Die 28 Staaten finden auch keine Lösung für
die epochale Frage, ob und wie Migranten und Flüchtlinge nach Europa
kommen dürfen. Der EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag hat daran
wenig geändert. Nur gegen Bedrohungen von außen rücken die Staaten
dann doch zusammen. Ein Überblick über den Gipfel:

MIGRATION

Der Höhepunkt der Flüchtlingskrise ist vorbei: Die Zahl in der EU
ankommender Flüchtlinge und Migranten geht seit langem zurück. Bis
Ende September waren es dieses Jahr rund 100 000 Menschen - und somit
etwa ein Drittel weniger als im Vorjahreszeitraum, wie aus jüngsten
Zahlen der EU-Grenzschutzagentur Frontex hervorgeht. Nach Italien
kamen gar rund 80 Prozent weniger.

Politisch aber ist der Asylstreit noch längst nicht bewältigt. Der
EU-Gipfel im Juni hatte eine deutlich schärfere Linie beschlossen.
Geprüft werden sollten sogenannte Ausschiffungsplattformen in
Nordafrika, in die Bootsflüchtlinge zurückgebracht werden könnten.
Tatsächlich ist bislang aber kein Land bereit, ein solches Zentrum
einzurichten. «Jeder findet es eine tolle Idee, aber keiner will sie
bei sich haben. Das macht es schon kompliziert», sagte der
luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel. Außer Gesprächen üb
er
eine «vertiefte Zusammenarbeit» mit Ägypten gibt es kaum Fortschritt.


In den jetzigen Gipfelbeschlüssen ist von Ausschiffungszentren keine
Rede. Stattdessen enthalten sie den Minimalkonsens der 28 Staaten.
Den Kampf gegen Schlepper will man ausweiten und Migranten von
vorneherein davon abhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen.
Mehr soll für Abschiebungen getan werden. Der Ausbau der Asylagentur
Easo und der Grenzschutzagentur Frontex soll vorangehen. Verbindliche
Beschlüsse bis Ende des Jahres sind jedoch unwahrscheinlich.

Und dann ist da noch die Frage nach der Verteilung von Asylbewerbern
auf alle EU-Länder. Hier sind die Staaten denkbar weit von einem
Kompromiss entfernt. Angesichts der Ablehnung östlicher EU-Staaten
schlug der derzeitige EU-Ratsvorsitzende und österreichische Kanzler
Sebastian Kurz vor, die Idee von Quoten endgültig aufzugeben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erteilte seinem Vorschlag sogleich
einen Korb.

INNERE SICHERHEIT

Einig scheint die EU in ihrer Sorge ob der deutlichen Hinweise auf
Russlands Verantwortung für massive Cyberattacken. Die Gemeinschaft
will sich mit neuen Abwehr- und Sanktionsmöglichkeiten besser
schützen. Angriffe wie der gegen das Computernetz der Organisation
für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) stärkten die gemeinsame
Entschlossenheit, auf «feindliche Aktivitäten ausländischer
Nachrichtendienstnetze» zu reagieren, heißt es der Gipfelerklärung.
Um die Abwehrfähigkeit gegen Cyberangriffe zu stärken, müssten die
Verhandlungen über alle Vorschläge dazu bis Mitte 2019 abgeschlossen
werden. Zudem solle an Sanktionsmöglichkeiten gearbeitet werden.

Um auf die wachsenden Bedrohungen zu reagieren, sind unter anderem
ein neues Kompetenzzentrum für Cybersicherheit sowie ein Netz
nationaler Koordinierungszentren im Gespräch. Zudem könnte die EU
künftig auch auf Cyberattacken mit Strafen reagieren. Neue
Sanktionsregeln gegen den Gebrauch von Chemiewaffen wurden bereits
Anfang der Woche von den EU-Außenministern beschlossen. So könnten
die mutmaßlichen Verantwortlichen für den Nervengift-Anschlag auf den
russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia
mit Vermögenssperren und EU-Einreiseverboten belegt werden.

Sowohl für den Anschlag auf die Skripals als auch für Hackerattacken
gegen die OPCW und andere politische Ziele in der EU wird der
russische Militärgeheimdienst GRU verantwortlich gemacht. In
Deutschland soll er unter anderem hinter Cyberangriffen auf den
Bundestag und das Datennetzwerk des Bundes stecken.

EUROZONE

Seit Jahren schon arbeiten die Euro-Staaten daran, die gemeinsame
Währung gegen künftige Krisen besser zu wappnen. Beim Euro-Gipfel im
Juni war man sich grundsätzlich einig, drei Projekte voranzutreiben
oder sie zumindest näher zu prüfen. Eines ist der Ausbau des
Eurorettungsschirms ESM zu einem Europäischen Währungsfonds - ähnlich

dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Das zweite Ziel ist die
Vollendung der Bankenunion, die letztlich verhindern soll, dass der
Steuerzahler im Krisenfall für Bankenpleiten zahlen muss.

Beide Projekte sind in den Mühen der Fachebene angelangt: Die Debatte
hat sich in technischen Details verstrickt. Seit Juni ist nach
Angaben von Insidern praktisch kein Fortschritt zu verzeichnen. Man
habe sich darauf geeinigt, dass die Arbeiten auf technischer Ebene
beschleunigt werden müssten, sagte EU-Ratschef Donald Tusk nach dem
Gipfel.

Ebenso wenig ist bislang hinsichtlich eines gemeinsamen Haushalts für
die Eurozone geschehen, den vor allem der französische Präsident
Emmanuel Macron fordert. Mühsam hatte Macron der Kanzlerin in den
Beschlüssen von Meseberg im Sommer eine Art Light-Version abgetrotzt,
einen Investivhaushalt. Seitdem ist von dem Plan wenig zu hören.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte angesichts des geringen
Fortschritts: «Es gibt kein Gefühl der Dringlichkeit, aber es ist
dringend.»

Prominenter sind aktuell die Sorgen wegen der Haushaltspolitik im
wichtigen Eurostaat Italien - beim Gipfel kamen etliche Staats- und
Regierungschefs darauf zu sprechen. Die neue Populisten-Regierung aus
Fünf Sternen und Lega will ihr Budget stärker auf Pump finanzieren
als zuvor in der EU vereinbart, was angesichts des riesigen
Schuldenbergs des Landes auch die Finanzmärkte nervös macht.