Bericht: Zahl der Anträge auf deutsche Pässe in Großbritannien steigt

19.10.2018 14:51

Tausende Menschen, die einst aus Deutschland vor der Naziverfolgung
nach Großbritannien geflohen waren, und ihre Nachkommen wollen wieder
einen deutschen Pass haben. Der Brexit scheint dabei eine Rolle zu
spielen.

London/Berlin (dpa) - Die Zahl der Anträge auf die deutsche
Staatsbürgerschaft in Großbritannien hat sich nach einem
Medienbericht seit dem Brexit-Votum vervielfacht. Beim größten Teil
der Antragsteller handele es sich um Menschen, die einst vor dem
NS-Regime nach Großbritannien geflohen seien und deren Nachkommen.
Das berichteten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitag) unter
Berufung auf die Antwort zu einer Anfrage der FDP-Fraktion im
Bundestag.

Lag die Zahl der Anträge auf die sogenannte Wiedereinbürgerung im
Jahr 2015 noch bei 59, gingen seit 2016 insgesamt 3731 solcher
Anträge bei deutschen Auslandsvertretungen in Großbritannien ein, wie
es heißt. Der größte Teil davon sei unter Berufung auf Artikel 116
Absatz 2 Grundgesetz gestellt worden. Artikel 116 garantiert
Verfolgten der Nazizeit und ihren Nachfahren das Recht, eine
entzogene deutsche Staatsbürgerschaft wieder einzufordern. Im Jahr
2016 gab es bereits 760 solcher Anträge, im vergangenen Jahr waren es
1824 und in diesem Jahr bis September 1147.

Zehntausende Menschen, vor allem Juden, flohen vor der Verfolgung
durch das Nazi-Regime nach Großbritannien. Rund 10 000 Minderjährige
gelangten durch die sogenannten Kindertransporte ins Vereinigte
Königreich. Die Rettungsaktion wurde ins Leben gerufen nach den
gewalttätigen Übergriffen auf Juden während der Pogrome im November
1938 in Deutschland. Viele der Kinder sahen ihre Eltern nie wieder.

Dem innenpolitischen Sprecher der FDP, Konstantin Kuhle, zufolge hat
die Entwicklung klar mit dem anstehenden EU-Austritt Großbritanniens
zu tun. Der sprunghafte Anstieg der Anträge seit dem Brexit-Votum
2016 zeige, dass viele Bürgerinnen und Bürger im Vereinigten
Königreich «die Vorteile der Unionsbürgerschaft» in der EU behalten

wollten, sagte Kuhle den Funke-Zeitungen. Die Europäische Union
sollte nicht vergessen, «dass sich viele Menschen im Vereinigten
Königreich der EU nahe fühlen», so Kuhle. Für sie sei zu hoffen, da
ss
es nicht zu einem ungeordneten Ausscheiden des Landes aus der EU
komme.

Das halten jedoch inzwischen die Briten für den wahrscheinlichsten
Ausgang der stockenden Brexit-Gespräche. Einer Studie des
Meinungsforschungsinstituts Ipsos Mori von dieser Woche zufolge
glauben 44 Prozent der Briten nicht mehr daran, dass ein
Brexit-Abkommen rechtzeitig zustande kommt. Nur 29 Prozent sind
dagegen zuversichtlich, dass ein Deal bis zum Austrittsdatum am 29.
März 2019 steht. Gerade einmal sieben Prozent der Briten gehen davon
aus, dass Großbritannien doch noch in der EU bleibt.

Nur 14 Prozent der Befragten gaben an, dass der Brexit ihren
Lebensstandard in den nächsten fünf Jahren verbessern wird. Knapp ein
Drittel (31 Prozent) dagegen geht davon aus, in fünf Jahren
schlechter dazustehen. Beinahe die Hälfte (46 Prozent) geht davon
aus, dass sich nichts ändert. Für die Umfrage wurden 2206
wahlberechtigte Briten im ganzen Land zwischen dem 28. September und
dem 3. Oktober befragt.

Trotz alledem sind die Briten weiterhin ungefähr gleichmäßig in
Befürworter und Gegner des EU-Austritts gespalten, wie mehrere
aktuelle Umfragen zeigen.

Größtes Problem bei den Brexit-Verhandlungen ist weiterhin die Frage,
wie Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und der
Republik Irland verhindert werden können. Bisher scheint es nahezu
unmöglich für Premierministerin Theresa May, in der Frage
Zugeständnisse zu machen. Für keine der bisher vorgeschlagenen
Lösungen zeichnet sich im Parlament in London eine Mehrheit ab.
Selbst gegen eine mögliche Verlängerung der geplanten Übergangsphase,

die Brüssel vorgeschlagen hat, um May Luft zu verschaffen, wächst der
Widerstand.