Italien bleibt bei Schuldenplänen hart - «Lächeln» gegen Abstufung

21.10.2018 16:34

Die Nervosität in Brüssel und in vielen Euro-Ländern steigt - nur
Italien gibt sich locker. Kritiker der Regierung in Rom fürchten, die
Ausgaben- und Schuldenpolitik könnte in einem großen Knall enden.
Doch die populistisch-rechtsnationale Koalition ficht das nicht an.

Rom/Brüssel (dpa) - Unbeeindruckt von der heftigen Kritik an ihren
Finanzplänen will die italienische Regierung ihren Kurs deutlich
höherer Schulden durchboxen. In Europa mehren sich Stimmen, die das
Risiko einer neuen Wirtschaftskrise sehen. Aber auch eine Mehrheit
der Italiener ist laut einer Umfrage überzeugt, dass eine zunehmende
Neuverschuldung machbar ist. Finanzminister Giovanni Tria muss der
EU-Kommission nun bis Montagmittag zu deren starken Bedenken Rede und
Antwort stehen. Premier Giuseppe Conte sagte vorab: «Wir wollen
erklären, wie und warum wir diesen Haushalt so aufgestellt haben.»

Sein Vize Luigi di Maio erwartet den «sehr raschen» Start eines
Defizitverfahrens. Der Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung -
Koalitionspartner der rechtsnationalen Lega in Rom - hatte am
Wochenende klargemacht, dass man trotz Warnungen von EU-Kommission,
Ökonomen und Finanzexperten nicht nachgeben werde. «Ich denke, ich
kann im Namen der ganzen Regierung sprechen, wenn ich jedwede
Neubewertung des Defizitziels von 2,4 Prozent ablehne», sagte er.

In Höhe dieses Anteils am Bruttoinlandsprodukt (BIP) will sich
Italien neu verschulden. Weil der Wert weit über den zunächst
zugesagten 0,8 Prozent der Vorgängerregierung liegt, sprach Brüssel
von einer «nie da gewesenen» Abweichung von den Regeln der Eurozone.
Die Kommission muss über ein mögliches Verfahren noch entscheiden. Di
Maio gab sich aber «hoffnungsvoll», dass ein Kompromiss gelingt.

Die vor allem international umstrittene Regierung hat in der Frage
der Schulden große Teile der Bevölkerung auf ihrer Seite. 59 Prozent
der Teilnehmer sprachen sich in einer Umfrage des Instituts Ipsos für
eine stark erhöhte Kreditaufnahme aus, wie der «Corriere della Sera»

meldete. Weil Italien einen riesigen Schuldenberg von gut 130 statt
der erlaubten 60 Prozent des BIP angehäuft hat, muss es nach früheren
Beschlüssen strengere Werte einhalten. Normalerweise liegt die Grenze
für das Defizit bei 3,0 Prozent. Das letzte Kabinett versprach 0,8
Prozent. Aber nun will Rom die Staatsausgaben ausweiten - etwa für
höhere Sozialleistungen und Pensionen - sowie Steuern senken.

Eine weiter steigende Verschuldung könnte indes Risikoaufschläge für

italienische Staatsanleihen immer höher werden lassen - mit möglichen
Gefahren für das Vertrauen in die Staatshaushalte und Stabilität des
Euro. Die Ratingagentur Moody's stufte die Kreditwürdigkeit des
Landes herunter. Sie kritisierte, die Pläne zeigten keine «kohärente

Reformagenda», die das maue Wachstum Italiens berücksichtigen würde.


Di Maio gab sich gelassen: Die Einschätzung der Bonitätswächter
beantworte man «mit einem Lächeln». Lega-Chef Matteo Salvini betonte,

die Schuldenpläne stünden - «trotz Ratingagenturen, EU-Kommissaren
und interner Missverständnisse». Es gebe allerdings «keinerlei
Absicht, die Eurozone oder die EU zu verlassen - im Gegenteil».

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte die Regierung am
Freitag zur Einhaltung der EU-Schuldenregeln aufgefordert. «Die
Europäische Union ist eine Wirtschafts- und eine Wertegemeinschaft,
und die funktioniert, weil es gemeinsame Regeln gibt, an die sich
alle halten müssen», sagte er. Conte entgegnete am Wochenende mit
Blick auf ein mögliches Defizitverfahren: «Damit können wir
klarkommen. Die Reaktion der Märkte ist schwieriger zu beherrschen.»

Unter Druck standen auch Anleihen anderer südeuropäischer Länder.
Beobachter verwiesen zudem auf Streitereien innerhalb der Regierung
und sahen ein zunehmendes Überschwappen auf andere Märkte.

Wirtschaftswissenschaftler zeigen sich ebenfalls zunehmend besorgt.
Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sagte der
«Rheinischen Post» (Samstag): «In der nächsten Wirtschaftskrise
könnte das Vertrauen der Investoren in die italienischen
Staatsfinanzen ganz kollabieren.» Der Chefökonom der Dekabank, Ulrich
Kater, warnte, es könnte «fatal sein, wenn ein weiterer Schock
hinzukäme, etwa ein Konjunktureinbruch oder der Zusammenbruch einer
Bank». FDP-Bundestagsfraktionsvize Christian Dürr verlangte: «Die
EU-Kommission muss hart bleiben und die Regeleinhaltung strikt
einfordern, sonst droht Ansteckungsgefahr für die ganze Eurozone.»