Rom und Brüssel steuern im Schuldenstreit auf Eskalation zu

22.10.2018 15:16

Italiens populistische Regierung will das Defizit in dem hoch
verschuldeten Land nach oben treiben. Einwände aus Brüssel lassen sie
offenbar kalt. Nun steht die EU-Kommission vor einer historischen
Entscheidung.

Rom/Brüssel (dpa) - Der Schuldenstreit zwischen der italienischen
Regierung und der EU-Kommission droht zu eskalieren. Rom hält trotz
aller Kritik an der geplanten höheren Neuverschuldung fest. Es sei
ihm bewusst, dass die Haushaltspläne nicht im Einklang mit dem
Euro-Stabilitätspakt stünden, schrieb Finanzminister Giovanni Tria am
Montag an die Brüsseler Behörde. Die angepeilte Erhöhung des Defizits

sei aber angesichts der «dramatischen wirtschaftlichen Lage, in der
sich die benachteiligten Schichten der italienischen Gesellschaft
befinden», eine «schwierige aber notwendige Entscheidung». Brüssel

steht nun vor einer historisch einmaligen Entscheidung.

Um die Stabilität der Gemeinschaftswährung zu sichern, ist in Europa
maximal eine Neuverschuldung von drei Prozent erlaubt. Italien weist
jedoch mit mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung nach
Griechenland die höchste Schuldenquote in Europa auf. Das ist das
Verhältnis der Gesamtverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das
Land ist daher verpflichtet, mittelfristig eine Politik der
Schuldenreduzierung zu verfolgen. Die abgewählte Vorgängerregierung
hatte eine Neuverschuldung von 0,8 Prozent zugesagt. Die jetzige
Koalition aus europakritischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega
will diese aber auf 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung ausweiten.
Die EU-Kommission hatte die Pläne Italiens bereits scharf kritisiert.
Auch die Finanzmärkten reagierten zunehmend nervös.

Anders sieht man das in Rom. Die Pläne stellten «kein Risiko für
Italien und andere Länder in der EU» dar, schrieb Tria weiter. Auch
Premierminister Giuseppe Conte versuchte zu beschwichtigen. «Wir sind
keine Horde Hitzköpfe, die in die Regierung gekommen sind», sagte der
parteilose Politiker in Rom. Ohne die Maßnahmen, die im
Haushaltsentwurf enthalten seien, würde Italien in eine neue
Rezession rutschen. Conte betonte, dass niemand einen Austritt
Italiens aus dem Euro oder der Europäischen Union wolle: «Es besteht
keine Möglichkeit des Italexit und keine Möglichkeit, aus der
Eurozone auszutreten.»

Eine weiter steigende Verschuldung könnte jedoch aus Expertensicht
Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen immer höher werden
lassen - mit möglichen Gefahren für das Vertrauen in die
Gemeinschaftswährung. Die Ratingagentur Moody's stufte die
Kreditwürdigkeit des Landes bereits jüngst herunter. Sie kritisierte,
die Pläne zeigten keine «kohärente Reformagenda», die das maue
Wachstum Italiens berücksichtigen würde.

Conte zeigte sich zumindest verhandlungsoffen. Die geplanten 2,4
Prozent Neuverschuldung der Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr
seien die «Obergrenze», meinte er. «Wir sind auch bereit, eine
Drosselung zu erwägen. Wir müssen nicht gezwungenerweise 2,4 Prozent
erreichen.» Dies hänge vom Wirtschaftswachstum ab. Falls die
EU-Kommission den Haushaltsentwurf Roms zurückweise, «setzen wir uns
an einen Tisch und überlegen gemeinsam».

Vize-Premier Matteo Salvini gab sich allerdings wie immer hart. Falls
die Kommission den Entwurf ablehne, werde man «keinen halben
Zentimeter» von den Schuldenplänen abweichen, sagte der Chef der
rechten Lega und Innenminister.

Die Kommission wird nun am Dienstag bei ihrer turnusmäßigen Sitzung
in Straßburg über die weiteren Schritte beraten. Theoretisch hat sie
bis kommenden Montag Zeit, die italienischen Haushaltspläne
abzulehnen. So etwas sei bislang noch nie vorgekommen, hieß es in
Brüssel. Rom hätte anschließend noch einmal drei Wochen Zeit, um
Korrekturen vorzunehmen.

Dass es anderswo in der EU aufwärts geht, machten neue Daten
deutlich: Europa befindet sich nach Jahren der Finanzkrise
mittlerweile wieder etwas im Aufwind, das Wirtschaftswachstum zog
zuletzt an, die Staaten haben ihre Neuverschuldung besser im Griff.
Das Haushaltsdefizit der 19 Eurostaaten sank der Statistikbehörde
Eurostat zufolge 2017 im Vergleich zum Vorjahr von 1,6 auf 1,0
Prozent. Die Schuldenquote sank von 89,1 auf 86,8 Prozent. Elf
Euroländer wiesen demnach Haushaltsdefizite auf, acht Länder
erzielten Überschüsse. Zu letzteren gehört Deutschland, die größt
e
Volkswirtschaft der Eurozone.