Abstimmung zum Brexit-Deal: Theresa Mays Mission Impossible Von Christoph Meyer, dpa

04.12.2018 16:59

Dem Brexit-Deal werden bei der Abstimmung im britischen Parlament am
11. Dezember kaum Chancen zugestanden. Zu groß ist der Widerstand bei
den Abgeordneten. Premierministerin Theresa May ignoriert das einfach
und wirbt wie besessen bei der Bevölkerung um Unterstützung.

London (dpa) - Theresa May hat viele Schwächen. Die konservative
britische Premierministerin hat zum Beispiel Schwierigkeiten,
souverän mit unangenehmen Fragen umzugehen. Sie beantwortet sie meist
gar nicht, sondern kontert nur mit gestanzten Sätzen. Das brachte ihr
den Spitznamen «Maybot» ein, eine Mischung aus May und Roboter.

Zu der Frage, was passiert, wenn das Parlament am 11. Dezember den
mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal ablehnt, sagt sie immer und
immer wieder: «Ich fokussiere mich auf die Abstimmung am 11.
Dezember.» Dass vor der fünftägigen Debatte, die am Dienstag beginnen

sollte, bereits etwa 100 Abgeordnete ihrer eigenen Fraktion
Widerstand dagegen angekündigt hatten, ignoriert May einfach. Plan B?
Scheint es nicht zu geben.

Britische Kommentatoren beobachten das mit zunehmendem Staunen. Der
«Times» zufolge wird Mays Verhalten sogar innerhalb des
Regierungssitzes Downing Street 10 mit einer Szene aus dem
Zweiten-Weltkriegs-Drama «Der Untergang» verglichen. Bruno Ganz
spielt darin Hitler, der vor seinen Generälen über einen Sieg in
letzter Sekunde fabuliert, während die Sowjets bereits vor Berlin
stehen.

Doch wenn May etwas als Stärke ausgelegt werden kann, dann ist es
ihre unerschütterliche Beharrlichkeit. Sie verlor eine Parlamentswahl
- und machte weiter, sie erlebte einen desaströsen Parteitag - und
machte weiter, mehrere wichtige Kabinettsmitglieder warfen im Streit
um ihre Brexit-Pläne hin - sie machte weiter. Doch wird sie auch
dieses Mal in der Lage sein, einfach weiterzumachen?

Es ist nicht nur ihre Unbeirrbarkeit, die für Kopfschütteln sorgt.
Statt bei den Abgeordneten in Westminster, auf deren Stimmen es
ankommt, Überzeugungsarbeit zu leisten, reiste May wie besessen
durchs ganze Land und macht eine Art Wahlkampf. Selbst einer
TV-Debatte gegen Oppositionschef Jeremy Corbyn will sie sich stellen
- anders als im echten Wahlkampf im vergangenen Jahr. In einem Brief
wandte sie sich an die Nation, um ihren Deal anzupreisen. Das
Abkommen werde die gespaltene Nation wieder versöhnen, versprach sie.
«Wir werden ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen.»

Doch ob sie mit ihrer Taktik erfolgreich sein wird, ist unklar.
Umfragen zumindest deuten darauf hin, dass die Zustimmung in der
Bevölkerung wächst. Waren kurz nach der Veröffentlichung des
Brexit-Abkommens Mitte November nur 15 Prozent der Wähler dafür,
verdoppelte sich diese Zahl bis Ende des Monats beinahe auf 27
Prozent. Doch die Zeit ist knapp und am Ende kommt es nicht nur
darauf an, was die Öffentlichkeit denkt.

Längst gibt es Spekulationen, die Regierungschefin habe etwas ganz
anderes im Sinn. Sie wolle den Abgeordneten mit einer Neuwahl drohen,
glauben manche, und sich schon einmal einen Vorsprung im Wahlkampf
verschaffen. Doch damit würde sie der Labour-Opposition in die Hände
spielen. Die hat bereits angekündigt, eine Misstrauensabstimmung
anzustoßen, sollte das Brexit-Abkommen am 11. Dezember durchfallen.
«Wenn sie eine Abstimmung von solcher Bedeutung nach zwei Jahren
Verhandlung verliert, wäre es richtig, eine Parlamentswahl
abzuhalten», sagte der Brexit-Experte der Labour-Partei, Keir
Starmer, kürzlich in einem BBC-Interview.

Wahrscheinlicher ist, dass May insgeheim auf einen zweiten Wahlgang
setzt. Ein Kurssturz an den Finanzmärkten nach einer Niederlage der
Regierung am 11. Dezember könnte die Abgeordneten zur Vernunft
bringen, so möglicherweise die Hoffnung. Zudem könnte May beim
nächsten regulären EU-Gipfel zwei Tage später kleine Änderungen an

der politischen Erklärung für die zukünftige Beziehung mit Brüssel

aushandeln.

Doch wenn die Parlamentarier erneut ablehnen, müsste May endgültig
mit einem Putsch rechnen. Für diesen Fall oder für einen Rücktritt
Mays plant angeblich bereits eine Gruppe von Ministern, eine engere
Anbindung an die EU zu suchen. Für das sogenannte
Norwegen-Plus-Modell, bei dem Großbritannien im Europäischen
Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben würde, gäbe es theoretisch
eine Mehrheit.

Doch auch die Rufe nach einem zweiten Referendum dürften immer lauter
werden. Die Labour-Partei will sich mit ganzer Kraft hinter die
Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung stellen, wenn eine
Neuwahl nicht zu erreichen ist. Auch ein Austritt ohne Abkommen wäre
nicht auszuschließen.