EuGH-Gutachter: Großbritannien könnte Brexit noch stoppen

04.12.2018 10:27

Mitten im bitteren Brexit-Streit in Großbritannien dürften die Gegner
des EU-Austritts Hoffnung schöpfen: Der Exit vom Brexit ist zumindest
aus Sicht des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof möglich.

Luxemburg (dpa) - Großbritannien kann den Brexit aus Sicht des
zuständigen Gutachters am Europäischen Gerichtshof noch stoppen. Das
Land könnte nach jetzigem Stand den im März 2017 gestellten
Austrittsantrag einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Staaten
zurückziehen und Mitglied der Europäischen Union bleiben, erklärte
Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona am Dienstag in Luxemburg.
Dies gelte bis zum Abschluss des Austrittsabkommens.

Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung
gebeten. Das Gutachten ist noch kein Urteil und somit nicht rechtlich
bindend. Wann die Luxemburger Richter entscheiden, ist nach Angaben
des Gerichts noch nicht bekannt. Doch folgt der EuGH oft seinen
Gutachtern.

Die Rechtsauffassung dürfte den Brexit-Gegnern in Großbritannien
schon jetzt Auftrieb geben. Dort wird heftig über das von der
Regierungschefin Theresa May vorgelegte Austrittsabkommen gestritten.
Im Parlament beginnt am (heutigen) Dienstag die Debatte. Vor der
Abstimmung am 11. Dezember zeichnet sich keine Mehrheit dafür ab.

Großbritannien hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten
offiziell darüber informiert, dass es die EU verlassen will. Damit
begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der
EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit am 29. März 2019 endet. D
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EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH die
Auffassung vertreten, das Verfahren lasse sich nur mit einem
einstimmigen Beschluss des Rats stoppen. Der EuGH-Generalanwalt sieht
das eindeutig anders.

Er schließt dies unter anderem aus dem Wiener Abkommen über das Recht
der Verträge: Demnach könne die Notifikation des Rücktritts von einem

völkerrechtlichen Vertrag jederzeit zurückgenommen werden. Aber auch
aus dem Artikel 50 lasse sich dies schließen. Denn dort sei die Rede
davon, dass ein EU-Staat «seine Absicht» zum Austritt mitteilen
dürfe. Eine solche Absicht könne sich aber ändern.

Allerdings gelten dem Gutachten zufolge bestimmte Voraussetzungen.
Wie die Austrittsabsicht müsste auch die Rücknahme den übrigen
EU-Ländern förmlich mitgeteilt werden. Und Großbritannien müsste
seine Verfassungsvorgaben einhalten. Da das Parlament zustimmen
musste, bevor die Regierung den Austrittsbrief nach Brüssel schickte,
müsste dies logischerweise auch für die Rücknahme gelten,
argumentiert Campos Sánchez-Bordona.