Zerstobene Hoffnung Merz: Die SPD im Krebsgang Von Georg Ismar, dpa

09.12.2018 06:03

Viele in der SPD hatten sich Friedrich Merz als neuen CDU-Chef
gewünscht - um durch mehr Streit das Profil zu schärfen. Nun heißt es

eher «Weiter so» in der großen Koalition. Und während eine als
Hoffnungsträgerin gefeiert wird, wird es für eine andere immer enger.

Berlin (dpa) - Es spricht nicht gerade für das Selbstbewusstsein der
SPD, dass die Hoffnung auf einen Aufschwung zuletzt den Namen eines
Christdemokraten trug: Friedrich Merz. Mit ihm als
CDU-Vorsitzenden hofften viele, das Profil in der großen Koalition
durch mehr Streit schärfen zu können. Es hatte was von Klassenkampf,

als zum Beispiel SPD-Vize Ralf Stegner die Frage aufwarf, «ob in
Deutschland Millionäre aus der Finanzindustrie politische Ämter in
Volksparteien anstreben» sollten. Dabei verdienen auch einige
Genossen wie Gerhard Schröder prächtig jenseits der
Politik. Man sehnte sich aber nach einem klar greifbaren Gegner.

Nun ist es anders gekommen - und eine der ersten, die Annegret
Kramp-Karrenbauer auf Twitter gratulierten, war SPD-Chefin Andrea
Nahles. Sie sprach von «großen Fußstapfen», in die Angela Merkels

Nachfolgerin hineintrete.

Merkel war 18 Jahre CDU-Chefin, bei Nahles wetten derzeit nur wenige
darauf, dass sie 18 Monate schafft. Ein Bundestagsabgeordneter
spricht von teils gespenstischen Szenen in Sitzungen, wenn Nahles
kaum Applaus bekommt. Zugleich wird es als unfair kritisiert, dass
alle Schuld für den Umfrageabsturz auf 14 Prozent bei ihr abgeladen
wird. Die herumkrebsende SPD ist verunsichert bis verzweifelt. 

Sicher, mit Kramp-Karrenbauer wird es wahrscheinlicher, dass die
große Koalition hält. Aber spätestens die Europawahl Ende Mai wird
für Nahles zur Wegscheide. Sie ist die erste Vorsitzende der SPD;
aber während die CDU, der man gerne fehlende innerparteiliche
Demokratie vorwarf, im Rennen um Merkels Nachfolge erblühte und in
Umfragen wieder auf 30 Prozent kletterte, verdankt Nahles ihren
Vorsitz einer Absprache im kleinen Zirkel, etwa mit Olaf Scholz. Und
ihre Partei schleppt sich bei 14 Prozent dahin.

Wer im Gegensatz zu Nahles als Hoffnungsträgerin gefeiert wird, ist
Katarina Barley. Die Bundesjustizministerin soll an diesem Sonntag in
Berlin als nationale Spitzenkandidatin für die Europawahl nominiert
werden. Als sie vor ein paar Wochen 50 wurde, gab es in den sozialen
Medien ein tausendfaches «Happy Katarina» mit vielen Herzchen. Da bei

der Wahl dennoch eine Klatsche droht, wurde zugleich heftig gerangelt
um die wenigen Listenplätze, die für den Einzug ins Europaparlament
reichen könnten.

Treiber für mehr frischen Wind sind die Jusos um den
Groko-Gegner Kevin Kühnert. Der wachsende Einfluss des
Parteinachwuchses zeigte sich darin, dass Juso-Vizechefin Delara
Burkhardt (26) - bei der Kandidatenkür in Schleswig-Holstein zuvor
einem anderen Kandidaten unterlegen - vom Vorstand einfach auf Platz
5 der Europawahlliste gesetzt wurde.

Nahles rackert sich ab. Ihr größter Verbündeter ist im Moment die
Angst vor einem Debakel bei einer Neuwahl. Aber frühere Vorsitzende
sind zunehmend entsetzt. Und von Abgeordneten wird ihr ein
Wagenburg-Verhalten angekreidet, falsche Beratung, fehlendes
Basisgespür und «infantile Auftritte» wie das Abküssen von
Griechenlands Premier Alexis Tsipras bei einem SPD-Debattencamp. Wo
sie ein Unterhaken fordert, bröckelt der Rückhalt fast überall. 

Es läuft kaum etwas rund, erst die Maaßen-Affäre, jetzt blockieren
auch alle SPD-Länder eine Grundgesetzänderung für die künftige
Bund/Länder-Finanzierung und damit auch das Milliardenprogramm für
mehr Computer, Tablets und digitale Infrastruktur an Schulen.  

Und es fehle an klarer Kommunikation, wird intern kritisiert.
Beispiel: Arbeitnehmer haben 2019 mehr Geld in der Tasche, etwa weil
Arbeitgeber den gleichen Anteil für die Krankenkassenbeiträge zahlen
müssen. SPD-Politiker sagen dazu, man habe die Rückkehr zur «Pari
tät»
durchgesetzt. Bei vielen Menschen bleiben da Fragezeichen. Auch was
sich hinter der «doppelten Haltelinie bei der Rente» verbirgt, ist
vielen unklar. «Bei den Grünen weiß man glasklar, wofür sie ste
hen»,
sagt ein SPD-Mann. «Flüchtlinge, Klima, Verkehr, da weißt du, was d
u
kriegst.»

Etwas widersprüchlich war zuletzt auch das Agieren bei der vom
Verfassungsgericht verlangten Reform der Grundsteuer. Der von
Finanzminister Scholz bevorzugte Vorschlag könnte in Großstädten zu
höheren Kosten für Mieter führen. Nahles hingegen verkündete nach
einer Tagung der SPD-Fraktionschefs, man wolle es künftig komplett
untersagen, die Grundsteuer überhaupt auf die Mieter umzulegen. 

Es gibt im Prinzip zwei sozialdemokratische Parteien - die
Regierungs-SPD von Scholz, die Spaß am Regieren hat und erleichtert
die Wahl Kramp-Karrenbauers zur CDU-Chefin zur Kenntnis genommen hat,
weil «AKK» mit Kanzlerin Merkel gut harmonieren dürfte. Und dann ist

da die frustrierte Basis-SPD, die sich eher Merz wünschte, um wieder
klarer Unterschiede herausstreichen zu können. Es grummelt
überall - frohe Weihnachten stehen der SPD eher nicht ins Haus.