Sozialdemokraten ziehen mit Barley und Timmermans in Europawahl

09.12.2018 17:30

Die Sozialdemokraten sehen die Europawahl als eine Schicksalswahl. Am
Wochenende wurden die Weichen gestellt: Mit Herz und Attacke will man
eine Zerstörung der EU bekämpfen. Man setzt auf ein besonderes Duo.


Berlin (dpa) - Die SPD warnt vor einem dramatischen Rechtsruck in
Europa und setzt im Kampf dagegen auf Katarina Barley: Die bisherige
Justizministerin ist am Sonntag mit einer Zustimmung von 99 Prozent
zur SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl am 26. Mai bestimmt
worden. Zum europäischen Spitzenkandidaten aller sozialdemokratischen
Parteien wurde allerdings bereits am Samstag in Lissabon der Vizechef
der EU-Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, gewählt.
Während er EU-Kommissionspräsident werden will, könnte Barley eine
führende Rolle im Europaparlament übernehmen.

Bei 194 gültigen Stimmen votierten 192 Mitglieder bei einer
Delegiertenkonferenz in Berlin für Barley. Die 50-Jährige will ihren
Kabinettsposten aufgeben und nach der Wahl nach Brüssel wechseln.

Der 57-jährige Timmermans wird im Wahlkampf damit der große Rivale
des konservativen Kandidaten Manfred Weber (CSU), der für die
Europäische Volkspartei antritt. Beide wollen Nachfolger von
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden.
EVP-Wahlkampfdirektor Dara Murphy begrüßte, dass auch die
Sozialdemokraten nun einen Kandidaten ausgesucht hätten. Man freue
sich auf die Debatten. Beim Kongress der Sozialdemokraten habe man
aber nur Altbekanntes gehört.

In einer umjubelten Rede in Lissabon versprach Timmermans einen Pakt
für ein sozialeres Europa und Widerstand gegen nationalistische
Populisten. «Bei diesen Wahlen geht es um die Seele Europas», sagte
der frühere niederländische Außenminister. Konservative wie die
Europäische Volkspartei, für die Weber antritt, wollten nur den
Status quo verwalten, während Nationalisten das europäische Projekt
zerstören wollten. Seine Ziele seien bessere Löhne, mehr Schutz für
kleine Dienstleister wie Pizzaboten, eine faire Besteuerung von
Digitalriesen und Superreichen, ein Abbau der Lohnlücke zwischen
Männern und Frauen, Schutz vor sexueller Gewalt und ein Klima- und
Umweltschutz mit Hilfen für die vom Wandel betroffenen Bürger.

In der Migrationspolitik warb er für Integration und eine viel engere
Zusammenarbeit mit Afrika. Die Aufgabe sei vergleichbar mit der
Aussöhnung von Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
«Es ist eine Schicksalsfrage», sagte er. Verfalle man darauf,
Zuwanderer nicht mehr als Menschen zu sehen, sterbe die eigene
Menschlichkeit - «dann sind wir keine Europäer mehr».

Timmermans war anschließend am Sonntag auch bei der SPD-Konferenz in
Berlin dabei. Barley rief ihre Partei dort zu einem energischen,
«geilen» Wahlkampf auf, das europäische Einigungsprojekt stehe am
Scheideweg. «Wir müssen alle raus aus der Komfortzone». Angesichts
von SPD-Umfragewerten unter 15 Prozent sagte die Deutsch-Britin: «Wir
sind eine großartige, schlagkräftige Partei. Ich finde, das sollten
wir viel öfter nach vorne stellen.» Man müsse das «soziale Europa
»
stärken. So forderte sie einen europäischen Mindestlohn und eine
europäische Arbeitslosenversicherung. Den deutschen Mindestlohn von
8,84 Euro bezeichnete Barley als «verdammt niedrig».

Auf Platz zwei der SPD-Liste wurde der Fraktionschef der europäischen
Sozialdemokraten im Europaparlament, Udo Bullmann, mit 97,4 Prozent
gewählt. Im Vorfeld gab es nach einem Eingreifen des Vorstands viel
Streit um die Kandidaten-Liste. Es blieb nun dabei, dass die
stellvertretende Juso-Chefin Delara Burkhardt (26) auf Listenplatz
fünf kandidiert und damit wohl in das Europaparlament einzieht - zum
Ärger des SPD-Landesverbands Schleswig-Holstein war der nominierte
Enrico Kreft ausgebootet worden. Er verlor eine Kampfkandidatur um
Platz 20 schließlich mit nur 33 Stimmen gegen den Europaabgeordneten
Jo Leinen. Auf den aussichtsreichsten ostdeutschen Platz 11 wurde
Constanze Krehl aus Sachsen gewählt.

SPD-Chefin Andrea Nahles verteidigte das Eingreifen des Vorstands in
die Kandidatenwahl-Ergebnisse der Landesverbände. So war auch die
33-jährige Luisa Boos aus Baden-Württemberg vom Vorstand auf einen
guten Platz gesetzt worden. Nach viel internem Ärger verzichtete sie
schließlich zugunsten der nun gewählten bisherigen Vizepräsidentin
des Europaparlaments, Evelyne Gebhardt, auf Listenplatz 15. Es habe
zu wenige junge und vor allem zu wenig weibliche Kandidaten bei den
ursprünglichen Vorschlägen der Landesverbände gegeben, sagte Nahles.

«Deshalb mussten wir eingreifen.» Bei einem Wahlergebnis von 15
Prozent gelten etwa 15 Plätze als sicher für den EU-Parlamentseinzug.

Bei der letzten Europawahl 2014 landete die SPD mit Spitzenkandidat
Martin Schulz bei 27,3 Prozent. Schulz betonte am Sonntag bei Twitter
in Anlehnung an das SPD-Wahlkampfmotto: «Europa ist die Antwort» -
grenzüberschreitende Herausforderungen wie Klimawandel, Migration und
Steuertricks von Konzernen löse man nur gemeinsam. Generalsekretär
Lars Klingbeil sagte, der Ex-Berater von US-Präsident Donald Trump,
Stephen Bannon, arbeite in Brüssel mit vielen Kräften daran, Europa
kaputt zu machen. «Das ist wahrscheinlich die wichtigste Europawahl,
die es in der Geschichte der Europäischen Union gegeben hat.»