EuGH: Großbritannien könnte Brexit einseitig stoppen

10.12.2018 10:12

Der Exit vom Brexit ist noch ohne Weiteres möglich, entscheiden die
obersten EU-Richter in Luxemburg. Das dürfte den Gegnern des
EU-Austritts vor der entscheidenden Abstimmung im britischen
Parlament Rückenwind geben.

Luxemburg (dpa) - Großbritannien könnte den für 2019 angekündigten

Brexit nach EU-Recht noch ohne Weiteres stoppen und einfach Mitglied
der Europäischen Union bleiben. Dies entschied der Europäische
Gerichtshof am Montag in Luxemburg. Eine Zustimmung der übrigen
EU-Staaten sei nicht nötig. Die Schwelle für einen Rückzieher von dem

in Großbritannien sehr umstrittenen EU-Austritt ist somit niedriger
als gedacht. (Rechtssache C-621/18)

Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung
gebeten. Das Urteil fiel nun einen Tag vor der Abstimmung des
britischen Parlaments über das von Regierungschefin Theresa May mit
der EU ausgehandelte Austrittsabkommen. Dafür zeichnet sich keine
Mehrheit ab. Eine Debatte über Alternativen ist in vollem Gange.

Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten
offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will.
Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der
EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit genau zwei Jahre später a
m
29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der
Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse
sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.

Der EuGH sieht das eindeutig anders. Ein Rückzieher der
Austrittsankündigung sei «in Übereinstimmung mit den
verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten» in Großbritannien möglich.
Das gelte so lange, bis ein Austrittsabkommen in Kraft oder die
vorgesehene Austrittsfrist einschließlich möglicher Verlängerungen
abgelaufen sei.

Die «eindeutige und bedingungslose Entscheidung» zum Verbleib in der
EU müsse dem Rat schriftlich mitgeteilt werden. Dann bliebe das
Vereinigte Königreich unter unveränderten Bedingungen Mitglied der
EU, entschieden die Luxemburger Richter.

Ein Rückzieher von der Absicht zum Austritt sei wie diese selbst ein
souveräner Akt des Mitgliedsstaats. Würde man die Zustimmung der
übrigen Staaten zur Bedingung machen, widerspräche das dem Prinzip,
dass kein EU-Land gegen seinen Willen zum Austritt gezwungen werden
könne, erklärte der EuGH.

EU-Ratschef Donald Tusk nehme das Urteil zur Kenntnis, werde aber
nicht reagieren, hieß es aus EU-Kreisen. Tusk hatte Großbritannien in
der Vergangenheit immer wieder angeboten, in der EU zu bleiben.

Der schottische Europaabgeordnete Alyn Smith aus der Grünen-Fraktion
erklärte, die EuGH-Entscheidung sende eine klare Botschaft an das
britische Parlament, «dass es einen Ausweg aus diesem Schlamassel
gibt». Wenn Großbritannien sich umentscheide, sollte die EU das Land
wieder mit offenen Armen empfangen, meinte Smith.

Das Urteil dürfte den Brexit-Gegnern in Großbritannien Auftrieb
geben. May hatte noch am Wochenende abermals für ihr Brexit-Paket
geworben. Es besteht aus einem knapp 600 Seiten starken
Austrittsvertrag, der die Bedingungen der Trennung regelt, so etwa
die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und finanzielle Pflichten
Londons gegenüber der EU. Ergänzt wird der Vertrag durch eine
rechtlich nicht bindende politische Erklärung zu den künftigen
Beziehungen.

Scheitert Mays Plan im Parlament, muss sie entweder noch einmal
abstimmen lassen - oder es braucht einen Plan B. Aus der britischen
Regierung und der Opposition mehren sich Signale, dass dann eine
engere Anbindung an die EU erwogen werden könnte, zum Beispiel der
Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion. Nicht mehr undenkbar ist ein
zweites Referendum - oder eben sogar ein Rückzieher vom Brexit.