May auf Brexit-Rettungsmission in Europa

11.12.2018 12:26

Nach der Verschiebung der Brexit-Entscheidung im britischen Parlament
ist die Lage verworren. Kommt nun der gefürchtete chaotische Brexit -
oder findet sich doch noch ein Ausweg?

Brüssel/London (dpa) - Wegen der massiven Widerstände gegen ihre
Brexit-Lösung hat die britische Premierministerin Theresa May am
Dienstag eine hektische Rettungsmission durch halb Europa gestartet,
auch zu Kanzlerin Angela Merkel nach Berlin. Der Hoffnung auf
Nachbesserung des Austrittsvertrags erteilte die EU aber eine klare
Absage. Bestenfalls «Klarstellungen und Interpretationen» seien
denkbar, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Nun wächst
wieder die Furcht vor einem Chaos-Brexit in nur drei Monaten.

May hatte wegen einer drohenden Niederlage die für Dienstagabend
geplante Abstimmung im britischen Parlament über ihr mit der
Europäischen Union vereinbartes Brexit-Paket verschoben. Stattdessen
kündigte sie an, weitere «Zusicherungen» der EU zu erreichen und so
die Bedenken im Unterhaus auszuräumen.

Am Morgen traf sie zunächst den niederländischen Ministerpräsidenten

Mark Rutte in Den Haag, vor weiteren Stationen bei Merkel in Berlin
und bei EU-Ratschef Donald Tusk und Juncker in Brüssel. Rutte sprach
mittags auf Twitter von einem «nützlichen Gespräch», nannte aber
keine Details.

Auch was May konkret erreichen will, blieb nach ihrer Ankündigung am
Montagabend vage. Hauptstreitpunkt in Großbritannien ist die Garantie
für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem
britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Konservative
Brexit-Befürworter fürchten, dass die im Austrittsvertrag vorgesehene
Lösung Großbritannien nach dem Brexit auf Dauer eng an die EU bindet.
Sie wollen eine Befristung. Das hatte die EU aber stets abgelehnt mit
der Begründung, eine Garantie könne nicht befristet sein.

Juncker bekräftigte im Europaparlament in Straßburg, dass eine
Änderung des Backstops für die EU ausgeschlossen sei. «Er ist nötig
,
nötig für das gesamte Paket dessen, was wir mit Großbritannien
verhandelt haben, und nötig für Irland», sagte der Kommissionschef
und stellte klar: «Jeder muss wissen, dass der Austrittsvertrag nicht
noch einmal aufgemacht wird.»

Gleichwohl signalisierte er etwas Entgegenkommen: «Aber natürlich
gibt es Spielraum, wenn man den intelligent nutzt, es gibt genug
Spielraum, um weitere Klarstellungen und weitere Interpretationen zu
geben, ohne das Austrittsabkommen noch einmal aufzumachen.» Die EU
könnte May nach Darstellung von Diplomaten in einer gesonderten
Erklärung zusichern, dass man gemeinsam alles versuchen werde, die
Backstop-Notfalllösung niemals anzuwenden.

Ob der Backstop gebraucht wird, hängt von den künftigen Beziehungen
zwischen der EU und Großbritannien ab. Diese sollen erst in einer
Übergangsphase nach dem für den 29. März 2019 vorgesehenen Austritt
ausgehandelt werden. Findet man eine Alternative für eine offene
Grenze auf der irischen Insel, käme der Backstop nicht zum Tragen.
Die EU wollte aber die Garantie unbedingt, weil die bisherigen
britischen Ideen der künftigen Partnerschaft noch keine solche Lösung
erkennen lassen.

In der Debatte im Europaparlament zeigten sich Abgeordnete zunehmend
entnervt und ungeduldig wegen der politischen Blockade in London.
EVP-Fraktionschef Manfred Weber klagte: «Wir haben schon zu viel Zeit
verloren.» Sein sozialdemokratischer Kollege Udo Bullmann
kritisierte, dass May weder Parlament noch das Volk entscheiden
lasse. Der liberale Brexit-Beauftragte des Parlaments, Guy
Verhofstadt, sagte: «Wir sind in ein neues Durcheinander getrudelt.»

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok meinte aber, dass Mays Gespräche
in Europa ihr vielleicht doch helfen könnten, Zustimmung im Unterhaus
zu bekommen. Vielleicht könne man klarstellen, dass der Backstop kein
«böser Trick der EU sei». Dennoch halte er einen harten Brexit ohne
Deal zunehmend für wahrscheinlich. «Das Problem ist, dass wir in
Großbritannien keinen Partner haben», sagte Brok.

Auch Europastaatsminister Michael Roth warnte in Brüssel: «Die Zeit
läuft aus. Das wissen alle Beteiligten.» Das britische Parlament
werde bald Weihnachtspause machen und erst im Januar zurückkehren.
«Wir müssen uns auf alles vorbereiten - nach wie vor auf einen harten
Brexit, den am Ende ja niemand will», sagte der SPD-Politiker.

Die 27 bleibenden EU-Länder stehen allem Anschein nach geschlossen
hinter der Linie der EU-Kommission, die das Verhandlungsmandat hat.
Auch in der deutschen Innenpolitik herrscht vor allem Kopfschütteln
über Großbritannien. FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff
nannte die Lage dort im MDR «absurdes Theater». Grünen-Europaexpertin

Franziska Brantner sprach von «Brexit-Harakiri». Die Wirtschaft
reagiert ebenfalls zunehmend nervös. Der Präsident des
Großhandelsverbands BGA, Holger Bingmann, warnte im SWR vor einem
«völlig ungeordneten Katastrophenszenario».