Was darf die EZB? EuGH stellt sich hinter Staatsanleihenkäufe Von Jörn Bender und Alkimos Sartoros, dpa

11.12.2018 13:30

Ist die EZB in ihrem Anti-Krisen-Kurs zu weit gegangen? Dass die
Notenbank in großem Stil Wertpapiere von Staaten kauft, sorgt immer
wieder für Streit. Der Europäische Gerichtshof hat nun ein klares
höchstrichterliches Signal gesendet.

Luxemburg/Frankfurt (dpa) - Zur Rettung des Euro haben Europas
Währungshüter alle Register gezogen. Selbst Kritiker bescheinigen der
Europäischen Zentralbank (EZB) unter Führung des Italieners Mario
Draghi, den Währungsraum in den vergangenen Jahren stabilisiert zu
haben. Dass aber die Notenbank bis heute gewaltige Milliardensummen
in den Kauf von Staatsanleihen steckt, ist umstritten. Wieder einmal
war das Urteil des Europäische Gerichtshofs (EuGH) gefragt. Der blieb
seiner bisherigen Linie treu.

Um welche EZB-Maßnahme geht es?

Um das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm der Notenbank - im
Fachjargon «Quantitative Easing» (QE) genannt. Seit März 2015 erwirbt

die EZB in diesem Rahmen Anleihen von Eurostaaten. Seit Juni 2016
stehen zusätzlich Unternehmensanleihen auf dem Einkaufszettel. Fast
2,6 Billionen Euro hat die EZB bisher in solche Papiere investiert.
Seit Oktober 2018 liegt das Volumen bei monatlich 15 Milliarden Euro.

Warum kauft die EZB überhaupt Wertpapiere?

Oberstes Ziel der EZB sind stabile Preise und damit eine stabile
Währung für die gut 340 Millionen Menschen in den 19 Staaten des
Euroraums. Mittelfristig strebt die Notenbank für den Währungsraum
eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Weil die
Teuerungsrate in den vergangenen Jahren sehr niedrig war, half die
EZB nach, indem sie die Zinsen drastisch senkte und zugleich über den
Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen gewaltige Summen frisches
Geld in Umlauf brachte. Die Theorie: Wenn mehr Geld in Umlauf ist,
steigen die Preise, und damit zieht auch die Inflationsrate an.

Was haben Staaten davon, dass die Notenbank ihre Anleihen erwirbt?

Staaten kommen so günstiger an frisches Geld. Denn sie müssen nicht
so hohe Zinsen für neue Wertpapiere bieten, weil die EZB große
Bestände kauft. Das hilft auch starken Volkswirtschaften. Nach
älteren Berechnungen der Deutschen Bank dürfte der deutsche Staat
allein in den Jahren 2008 bis 2016 fast 260 Milliarden Euro an Zinsen
eingespart haben. Darüber hinaus hat das Kaufprogramm der Notenbank
einen psychologischen Effekt: Die EZB signalisiert Verbrauchern und
Unternehmen damit, dass sie die Wirtschaft nicht im Stich lässt.

Darf die Notenbank überhaupt Anleihen kaufen?

Kritiker halten dies für Staatsfinanzierung mit der Notenpresse. Ein
Vorwurf: Deutschland bezahle indirekt die Rettung überschuldeter
Staaten und maroder Banken in Südeuropa. Zudem animiere das
Anleihenkaufprogramm Staaten zum Schuldenmachen und bremse notwendige
Reformen. Der EuGH hatte jedoch bereits im Sommer 2015 entschieden:
Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen.

Wie argumentierten die Kläger vor dem EuGH?

Die Klage geht unter anderem von den Euro-Kritikern Bernd Lucke und
Hans-Olaf Henkel aus, einst führende Vertreter der Alternative für
Deutschland (AfD).

«Das Resultat des Staatsanleihekaufprogramms ist doch, dass die EZB
derzeit der mit Abstand größte Gläubiger der Eurostaaten ist», sagt

Lucke. «Also finanziert die EZB die Staatsverschuldung in ungeheurem
Ausmaß.» Das Bundesverfassungsgericht hatte den Fall mit einigen
Fragen versehen nach Luxemburg verwiesen.

Was hat der EuGH jetzt geurteilt?

Die Luxemburger Richter haben die Klage klar abgeschmettert. Die EZB
betreibe keine unerlaubte Staatsfinanzierung und verstoße nicht gegen
ihr Mandat, urteilten sie. Um ihr erklärtes Ziel der Preisstabilität
zu erreichen, müsse die Euro-Notenbank zwangsläufig Maßnahmen
ergreifen, die Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätten.

Dabei bevorzuge sie einzelne Staaten aber nicht, sondern kaufe
Anleihen nach einem fest vorgegebenen Schlüssel, erklärten die
Richter weiter. Die EZB kaufe die Anleihen zudem am Sekundärmarkt -
das heißt, sie erwirbt Papiere, die bereits im Umlauf sind, von
Investoren. Dies habe nicht die gleiche Wirkung wie Käufe direkt bei
den Wertpapiere ausgebenden Staaten. Ihnen werde dadurch nicht der
Anreiz genommen, eine solide Haushaltspolitik zu verfolgen.

Wie geht es mit dem Kaufprogramm weiter?

Europas Währungshüter haben den Ausstieg aus ihrer
Anti-Krisen-Politik eingeläutet. An diesem Donnerstag (13.12.) dürfte
der EZB-Rat formal das Ende neuer Anleihenkäufe zum Jahresende 2018
beschließen. Schlagartig schließen wird die EZB die Geldschleusen
aber nicht: Gelder aus auslaufenden Staats- und Unternehmensanleihen
will die Notenbank vorerst erneut investieren.

Wer kontrolliert die EZB überhaupt?

Die Notenbank ist de jure unabhängig. Das war insbesondere den
Deutschen bei der Gründung der gemeinsamen Notenbank zum 1. Juni 1998
wichtig, denn sie hatten mit der Deutschen Bundesbank gute
Erfahrungen gemacht. «Ich glaube, jeder wird heute sagen, dass wir
auch dank Ihrer Arbeit, dank der Arbeit der Europäischen Zentralbank,
heute besser dastehen als vor einigen Jahren mitten in der Krise»,
sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Besuch der
EZB-Zentrale in Frankfurt im September dieses Jahres. «Das Wichtige
für uns ist, dass die Unabhängigkeit der Bank in ihrer Entscheidung
in jedem Falle gewährleistet bleibt.»

Darf die Notenbank also machen, was sie will?

Die EZB steht nicht außerhalb jeder Kontrolle, wie der Präsident des
Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, im Juni 2016 anlässlich
eines Urteils des höchsten deutschen Gerichts in einem anderen
Verfahren um die Machtfülle der EZB betonte: «Die Europäische
Zentralbank unterliegt wie jede europäische Institution
kompetenzbeschränkenden Regeln, deren Einhaltung von Gerichten
kontrolliert werden kann.»

Allerdings hat die EZB in der Regel schon lange Fakten geschaffen,
bevor Gerichte abschließend urteilen. Im vorliegenden Fall fällt das
Bundesverfassungsgericht auf Basis des EuGH-Urteils seine
abschließende Entscheidung, denn der EuGH entscheidet nicht über den
nationalen Rechtsstreit. Sein Urteil ist jedoch maßgebend und
richtungsweisend.

Die Kläger zeigten sich von dem Luxemburger Urteil nun schwer
enttäuscht. Ein EZB-Sprecher erklärte hingegen: «Die Europäische
Zentralbank nimmt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur
Kenntnis, der heute bestätigt hat, dass unser Anleihekaufprogramm ein
Instrument der Geldpolitik ist und dank seiner Regeln und
Sicherheitsvorkehrungen mit dem Recht der Europäischen Union im
Einklang ist.»