Politische Blockade in London: Ist der Brexit-Deal noch zu retten? Von Verena Schmitt-Roschmann und Christoph Meyer, dpa

11.12.2018 16:40

Nach der Absage der Brexit-Entscheidung im britischen Parlament
suchen London und Brüssel nach einem Ausweg. Aber was ist jetzt
eigentlich noch möglich?

London/Brüssel (dpa) - Die britische Premierministerin Theresa May
hat die Abstimmung über das Brexit-Abkommen im Parlament auf Eis
gelegt. Wie es nun mit dem EU-Austritt weitergeht, weiß niemand
genau. Aber noch ist auch nicht alles verloren.

Warum hat May verschoben?

Die Premierministerin musste eingestehen, dass es derzeit keine
Mehrheit für das Abkommen gibt. Das war zwar schon früh abzusehen,
doch May hoffte bis zuletzt. Bei einem knappen Scheitern hätte sie
nach weiteren Verhandlungen mit Brüssel dem Parlament ein leicht
verändertes Abkommen für eine zweite Abstimmung vorlegen können.
Stattdessen bahnte sich eine vernichtende Niederlage an, die May wohl
das Amt gekostet hätte.

Was ist für Briten der Knackpunkt?

Besonders ungeliebt ist der sogenannte Backstop. Damit ist die
Garantie gemeint, trotz Brexits die Grenze zwischen dem britischen
Nordirland und dem EU-Mitglied Irland offen zu halten. Sonst könnte
neue Gewalt in der früheren Bürgerkriegsregion drohen. Kontrollen an

der neuen EU-Außengrenze scheinen aber mit dem von May geplanten
Austritt aus der Zollunion und dem Binnenmarkt unausweichlich.

Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien als Ganzes in einer
Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden ist. In
Nordirland würden Regeln des Binnenmarkts weiter gelten. Kritiker aus
Mays Konservativer Partei fürchten, der Backstop könne zum
Dauerzustand und das Land so im Orbit der EU gehalten werden. Die
nordirische Protestantenpartei DUP, von der Mays Minderheitsregierung
abhängt, lehnt jeglichen Sonderstatus für Nordirland ab.

Was erhofft sich May von der EU?

May spricht von Zusicherungen, die sie erreichen will. Sie weiß, dass
der Backstop Bedingung der EU für das Abkommen ist und nicht
verschwinden kann - nicht umsonst wurde darum monatelang gerungen.
Möglicherweise hofft sie darauf, Kritiker mit Formulierungen
zufriedenzustellen, die deutlich machen, dass der Backstop nur eine
Notfalllösung ist und im Idealfall gar nicht zur Anwendung kommt. Das
Austrittsabkommen sieht eine Übergangsphase vor, die bis Ende 2022
verlängert werden kann, um eine Alternative zum Backstop zu finden.
Bei dieser Entscheidung will May das Parlament einbinden.

Wird die EU Zugeständnisse machen?

Nachverhandlungen im engeren Sinne schließt die EU kategorisch aus.
«Jeder muss wissen, dass der Austrittsvertrag nicht noch einmal
aufgemacht wird», sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am
Dienstag und bekräftigte: «Der Deal, den wir erreicht haben, ist der
bestmögliche Deal. Es ist der einzig mögliche Deal.» Doch sagte
Juncker auch, «Klarstellungen» könne es geben.

Was soll das heißen?

Das Nein zu Nachverhandlungen bezieht sich auf den 585 Seiten starken
Austrittsvertrag, in dem neben Rechten der EU-Bürger in
Großbritannien, den finanziellen Pflichten Londons und vielen Details
eben auch der Backstop festgeschrieben ist. Daneben gibt es eine
rechtlich nicht bindende «Politische Erklärung» zu den künftigen
EU-Beziehungen zu Großbritannien. Hier könnte es Spielraum geben.
Diplomaten sagten, die EU könnte May in einer weiteren Erklärung
zusichern, dass man die Nutzung des Backstops unbedingt vermeiden und
schnell eine andere Lösung finden möchte - dass die EU also nicht die
Absicht hat, Großbritannien auf Dauer an sich zu ketten.

Wird das reichen, damit May im Unterhaus eine Mehrheit bekommt?

Wahrscheinlich nicht. Die DUP fordert, den Backstop ganz aus dem
Abkommen zu streichen «Der Backstop muss weg», twitterte DUP-Chefin
Arlene Foster kürzlich. Den Brexit-Hardlinern aus Mays Konservativer
Partei würde selbst das nicht reichen, wie der ehemalige
Brexit-Staatssekretär Steve Baker sagt. Auch für die meisten
Labour-Abgeordneten wäre das Abkommen trotzdem nicht akzeptabel, wenn
auch aus anderen Gründen.

Ist ein Brexit ohne Vertrag damit wahrscheinlicher geworden?

Auf den ersten Blick schon. Denn niemand kann voraussagen, wie das
Drama endet. Aber: Es bleiben immer noch gut drei Monate, um einen
Ausweg zu suchen.

Welche Alternativen bleiben?

Sollte May mit einem nachgebesserten Abkommen im Parlament scheitern,
wäre ein Putsch in ihrer Fraktion wohl unausweichlich. Dann könnte
sich ein Brexit-Hardliner wie Ex-Außenminister Boris Johnson
durchsetzen und versuchen, die EU zu mehr Zugeständnissen zu bewegen.

Denkbar wäre auch, dass es zu einem Misstrauensvotum im Parlament
kommt und EU-Befürworter das Ruder übernehmen. Dabei müsste die
Opposition mit EU-freundlichen Konservativen gemeinsame Sache machen.
Möglich wäre dann eine engere Bindung an die EU mit Verbleib in der
Zollunion und im Binnenmarkt.

Als immer wahrscheinlicher gilt inzwischen ein zweites
Brexit-Referendum. Unklar ist nur, mit welchen Fragen. Denkbar wäre
die Wahl zwischen Mays Lösung und einem Verbleib in der EU oder Mays
Deal und einem Ausscheiden ohne Vertrag. Auch ein Stimmzettel mit
allen drei Varianten wäre denkbar.

Der «Exit vom Brexit» ist nach einem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs immer noch möglich. Großbritannien könnte den
Brexit-Antrag von 2017 ohne Zustimmung der übrigen EU-Staaten
zurücknehmen und EU-Mitglied bleiben, entschieden die Richter.