Allianz der Populisten zur Europawahl 2019? Salvini umwirbt Kaczynski Von Lena Klimkeit, Natalie Skrzypczak und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

09.01.2019 16:21

Viele bezeichnen die Europawahl im Mai schon als «Schicksalswahl» -
auch weil der Zulauf zu Populisten und EU-Gegnern ungebrochen
scheint. Vor allem der Italiener Salvini will deren Kräfte bündeln.

Warschau/Rom (dpa) - Der hemdsärmelige, stets kampfeslustige Matteo
Salvini und der fromme, rigorose Jaroslaw Kaczynski - es war ein
merkwürdiges politisches Paar, das am Mittwoch in Warschau über die
Zukunft Europas beriet. Doch der Chef der italienischen Lega und der
Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS sind sich mindestens
in einem Punkt einig: Beide liegen mit der EU-Kommission über Kreuz
und beide würden Brüssel gerne politisch zurechtstutzen. Vor der
Europawahl Ende Mai loteten sie aus, was zusammen gehen könnte.

Salvini schäumte auch in Warschau vor Enthusiasmus. Ein neues Europa
werde nach der Wahl entstehen, ganz anders als das heute von
Bürokraten verwaltete, sagte der Rechtspopulist. Mehr Sicherheit und
weniger Bürokratie - mit Italien und Polen als Gegengewicht zur
Dominanz Deutschlands und Frankreichs in der EU. So beschrieb er das
Ziel.

Den ungarischen Regierungschef Viktor Orban hatte Salvini bereits im
Herbst für eine rechte Allianz umworben, nun war der rechtsnationale
Kaczynski an der Reihe. Salvini sucht Verbündete für das, was er die
«Revolution des Wandels» nennt und was die Parteien der Mitte überall

in Europa schaudern lässt. «Wir dürfen uns keine Limits setzen»,
schrieb er in einer Neujahrsbotschaft. «Wir müssen groß träumen.»


Der Traum heißt Aufschwung und Schulterschluss der Populisten und
EU-Kritiker im künftigen EU-Parlament, und nicht nur Salvini träumt
ihn. Der Chef und Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland,
Jörg Meuthen, triumphierte schon im November, man werde die
Mehrheitsverhältnisse entscheidend verändern.

Nach einer neuen Projektion könnten EU-Skeptiker im Mai 155 von
künftig 705 Sitzen gewinnen und somit zweite Kraft hinter der
Europäischen Volkspartei werden. Ob die rechts-nationalistisch
ausgerichteten Parteien dann tatsächlich alle an einem Strang und in
eine Richtung ziehen, ist eine ganz andere Frage. Einiges spricht aus
Sicht von Experten dagegen.

Klar ist, dass Parteien wie die AfD, die italienische Lega, die
österreichische FPÖ oder das Rassemblement National der französischen

Rechtspopulistin Marine Le Pen die Europäische Union in ihrer
jetzigen Form ablehnen. Einige wollen sie gar nicht mehr. 

In einem AfD-Entwurf ist die Rede vom Austritt Deutschlands oder
einer Auflösung der EU, falls sich grundlegende Reformen nicht binnen
fünf Jahren durchsetzen ließen. Meuthen ging dazu zwar auf Distanz,
spart aber selbst nicht mit Breitseiten gegen den angeblich geplanten
«EU-Superstaat». Er nennt Salvini, Orban und FPÖ-Chef Heinz-Christian

Strache «natürliche Verbündete», mit denen sich die AfD im neuen
Europaparlament zu einer großen Fraktion zusammentun wolle.

Bisher haben die EU-Kritiker und Populisten im Europaparlament
vergleichsweise wenig Einfluss, obwohl sie schon heute rund 20
Prozent der 751 Mandate halten. Denn sie unterscheiden sich nicht nur
in Zielen und im Ton, sondern verteilen sich auf drei verschiedene
Fraktionen - die EKR, die EFFD und die ENF. Etliche EU-Kritiker sind
fraktionslos. Orbans Fidesz-Partei gehört nach wie vor zur
Europäischen Volkspartei und will das weiter so halten.

Europaexperte Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und
Politik ist deshalb skeptisch, ob die Vision einer breiten Allianz
trägt. «Aus inhaltlichen Gründen ist eine durchsetzungsfähige
Zusammenarbeit auch in Zukunft wenig wahrscheinlich», schreibt der
Wissenschaftler in einer Analyse zur Europawahl.

So sind auch die Unterschiede zwischen Salvini und Kaczynski
greifbar, nicht nur im Auftreten. Zwar schrieb die Zeitung «La
Repubblica»: «Die beiden sprechen die gleiche Sprache, was die
Schließung der Grenzen vor dem Migrationsfluss angeht.» Gerade in der
Flüchtlingspolitik gibt es aber auch Gegensätze, denn Italien pocht
auf eine Umverteilung von Ankömmlingen, gegen die sich Polen strikt
wehrt. Auch gilt Salvini im Gegensatz zu Kaczynski als
Russland-Freund.

Im Europaparlament ist die PiS in der Fraktion EKR, unter anderem mit
den britischen Konservativen. Die Lega hat sich mit Le Pen und
anderen in der ENF deutlich weiter rechts platziert. Die Bevölkerung
in Polen ist überwiegend EU-freundlich und will keinen «Polexit».
Viele Bürger sehen es eher kritisch, dass die PiS seit Jahren mit
Brüssel über Justizreformen streitet.

In Italien sitzt der Frust hingegen so tief, dass Salvini und sein
Koalitionspartner Fünf Sterne immer wieder mit Konfrontation punkten
können, zuletzt im Haushaltsstreit mit der EU-Kommission.

Einig sind sich Salvini und Kaczynski, dass die EU-Staaten wieder
mehr selbst entscheiden und sich von Brüssel weniger sagen lassen
sollen. Aber ob das als gemeinsamer Nenner reicht? Die «nationale
Internationale» kranke daran, dass jede Partei die eigene Nation
wieder groß machen wolle, analysiert von Ondarza. Deutschland zuerst,
Italien zuerst, Finnland zuerst - das geht der Logik folgend wohl
nicht gleichzeitig.

Käme es aber tatsächlich zur geeinten Rechten - womöglich sogar mit
Orban -, dann wären die Folgen für die EU kaum absehbar. «Eine solche

Sammlungsbewegung hätte durchaus das Potenzial, zur größten oder
zweitgrößten Fraktion im EP zu werden», meint von Ondarza. Größte

Fraktion, das hieße dann wohl auch, dass die EU-Kritiker Anspruch auf
zentrale Posten der ihnen so verhassten Gemeinschaft erheben würden.

Salvini hat eine Kandidatur als Präsident der EU-Kommission schon
einmal leichthin in die Runde geworfen. «Freunde in mehreren
europäischen Ländern bitten mich darum», sagte er im Spätherbst «
La
Repubblica». «Ich hatte noch keine Zeit, den Vorschlag zu bewerten.
Bis Mai ist es ja noch lang hin. Schauen wir mal, ich denke drüber
nach.»