Streit um Brexit: Britische Abgeordnete setzen May unter Zeitdruck Von Verena Schmitt-Roschmann, Christoph Meyer und Silvia Kusidlo, dpa

09.01.2019 16:50

Die britischen Parlamentarier streiten heftig über den Brexit. Prompt
gibt es eine Überraschung: Die Abgeordneten ändern die Spielregeln
vor dem geplanten EU-Austritt.

London/Brüssel (dpa) - Eine knappe Woche vor der wichtigen Abstimmung
über das Brexit-Abkommen von Premierministerin Theresa May drücken
die Abgeordneten im britischen Parlament auf die Tube. Die Regierung
müsse innerhalb von drei Sitzungstagen einen Plan B vorlegen, sollte
Mays Brexit-Vertrag am kommenden Dienstag abgelehnt werden. Das
entschieden die Parlamentarier zum Auftakt einer fünftägigen Debatte
am Mittwoch mit 308 zu 297 Stimmen. Bislang war vorgesehen, dass die
Regierung dafür drei Wochen Zeit hat.

May könnte damit nach Ansicht von Beobachtern nicht mehr auf Zeit
spielen, um ihr Abkommen durch das Unterhaus zu bringen. Das
Parlament könnte dagegen Einfluss auf die weiteren Schritte nehmen.

Die Regierungschefin hatte die Abstimmung über das mit Brüssel
ausgehandelte Abkommen zum EU-Austritt im Dezember zunächst
verschoben, weil sich eine deutliche Niederlage abzeichnete. Sie soll
nun am 15. Januar stattfinden. Es gilt jedoch weiterhin als
unwahrscheinlich, dass der Brexit-Deal eine Mehrheit findet.

Vor der Debatte lieferte sich May unter anderem mit Labour-Chef
Jeremy Corbyn einen heftigen Schlagabtausch. May erklärte, die
Opposition würde jeden möglichen Deal ablehnen. Der Alt-Linke Corbyn
warf der Premierministerin hingegen Erpressung vor.

Großbritannien scheidet voraussichtlich am 29. März 2019 aus der EU
aus. Sollte bis dahin kein Abkommen mit Brüssel unter Dach und Fach
sein, droht dem Land ein chaotischer Brexit mit erheblichen Folgen
für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche. Bei einem
geregelten Austritt hingegen wäre eine Übergangsphase bis mindestens
Ende 2020 vorgesehen, in der sich praktisch nichts ändert.

EU-Politiker forderten von London ein Ja zum Austrittsvertrag. «Die
Kollegen im britischen Unterhaus tragen jetzt große Verantwortung»,
sagte CSU-Europapolitiker Manfred Weber am Rande eines
«Wirtschaftsgipfels» der Zeitung «Welt» in Berlin. CDU-Brexit-Exper
te
Elmar Brok warnte die Abgeordneten vor Illusionen, die EU werde noch
Zugeständnisse machen oder einen Ausweg weisen.

Drei Viertel der britischen Abgeordneten sind einer Umfrage zufolge
der Meinung, May habe schlecht mit der EU verhandelt. Die
Meinungsverschiedenheiten im Unterhaus hätten sich binnen eines
Jahres erheblich vergrößert, ermittelte die Londoner Queen Mary
Universität gemeinsam mit einer Denkfabrik. Deshalb sei es kaum
möglich, dass May das Abkommen durch das Parlament bringe.

In Mays Konservativer Partei stößt der Vertrag auf viel Ablehnung.
Auch die nordirische DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung
angewiesen ist, verweigert die Gefolgschaft.

Knackpunkt ist für viele Gegner die von Brüssel geforderte Garantie
für eine offene Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem
britischen Nordirland. Demnach soll ganz Großbritannien in einer
Zollunion mit der EU bleiben, bis eine bessere Lösung gefunden ist.
Die Kritiker wollen hingegen eine klare Befristung.

CDU-Europaparlamentarier Brok lehnte dies erneut ab. Der sogenannte
Backstop sei eine Lebensversicherung - und die könne man nicht
befristen, sagte er in Brüssel. Brok räumte aber ein, dass bei einem
«No Deal» direkt nach dem Brexit eine harte Grenze in Irland
entstünde. «Das bedeutet schlicht und einfach, dass dies eine Grenze
wird wie zu jedem Drittstaat», sagte Brok. «Und demnach müssen die
Grenzkontrollen, die Warenkontrollen und so weiter stattfinden.»

Britischen Medien zufolge hat May inzwischen akzeptiert, dass ihr
eine Niederlage bei der Abstimmung am kommenden Dienstag bevorsteht.
In den vergangenen Wochen hatte sie noch versucht, mit einer
Charmeoffensive das Ruder herumzureißen. Fraglich ist, wie sie nun
vorgehen will. Pläne für eine weitere Abstimmung über den Deal
dürften nun erheblich schwerer umzusetzen sein.

Um einen Austritt ohne Vertrag abzuwenden, wird nun auch vermehrt
über eine Verschiebung des Brexits spekuliert. Dies wäre auf Antrag
Großbritanniens mit Zustimmung aller anderen 27 EU-Staaten möglich.
Alternativ könnte Großbritannien seinen Austrittsantrag zurückziehen

- und es womöglich in einigen Monaten noch einmal versuchen.