Rumänien im Krisenmodus Von Kathrin Lauer und Alkimos Sartoros, dpa

10.01.2019 20:39

Für sechs Monate kann Rumänien den Ton in der Europäischen Union
angeben. Doch das Land bringt eine Menge innenpolitischer Probleme
mit. Kann das gutgehen?

Bukarest (dpa) - Rumänien hat es nicht leicht. Das Land befindet sich
zum Auftakt seiner EU-Ratspräsidentschaft im Krisenmodus.
Staatspräsident und Regierung sind sich spinnefeind. Und die im Kampf
gegen Korruption sehr aktive Justiz befindet sich im Würgegriff der
Politik. Kommen die dringenden Aufgaben auf EU-Ebene dabei zu kurz?

In diesem Jahr stehen für die EU richtungsweisende Ereignisse an, vor
allem im ersten Halbjahr. Großbritannien wird die Staatengemeinschaft
voraussichtlich am 29. März verlassen, im Mai wird das
Europaparlament neu gewählt, wobei populistische und rechtsradikale
Parteien deutlich zulegen könnten. Außerdem stehen wichtige
Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 und die
Reform der EU-Asylpolitik an.

Bei all dem bräuchte die Staatengemeinschaft wohl eher eine
Präsidentschaft, die als souveräner Moderator auftreten und zwischen
den ohnehin oft kaum unter einen Hut zu bringenden Interessen der
übrigen 27 EU-Staaten vermitteln könnte. Eine Präsidentschaft, die in

schwierigen Dossiers die Gespräche forciert und eigene Belange auch
einmal hinten anstellt.

In Brüssel gibt es erhebliche Zweifel, ob Rumänien dies bei seinem
ersten EU-Vorsitz leisten kann - und will. Selbst EU-Kommissionschef
Jean-Claude Juncker bezweifelte zuletzt die Einigkeit und den
Vermittlungswillen der Führung in Bukarest. Die sozialliberale
Regierung in Bukarest betont jedoch, bereit zu sein.

Seit dem EU-Beitritt 2007 ist Rumänien - ebenso wie das zeitgleich
beigetretene Bulgarien - wegen der grassierenden Korruption ein
Sorgenkind der EU. Brüssel hatte deswegen beide Länder unter
Sonderüberwachung gestellt und den sehnlichst angestrebten Beitritt
zum grenzkontrollfreien Schengen-Raum auf einen unbestimmten
Zeitpunkt verschoben. Rumänien hatte bis 2016 von der EU-Kommission
in den Überwachungsberichten stetig bessere Bewertungen bekommen

Seit zwei Jahren scheint die Regierung aber bestrebt zu sein, diese
Erfolge zunichte zu machen, durch aufgeweichte Strafgesetze und
Angriffe gegen das Justizpersonal. Treibende Kraft ist dabei der
Vorsitzende der regierenden Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea. Er
ist wegen Wahlmanipulationen vorbestraft, darf nicht selbst
Regierungschef werden, kontrolliert aber die Regierung. Er ist
außerdem wegen mutmaßlicher Anstiftung zum Amtsmissbrauch und
mutmaßlicher Veruntreuung von EU-Geldern im Visier der Justiz.

Trotzig hatte die Ministerpräsidentin Viorica Dancila (PSD) in den
vergangenen Monaten immer wieder Kritik seitens der EU-Kommission und
des Europaparlaments zurückgewiesen.

Staatspräsident Klaus Iohannis, der der bürgerlichen Opposition
nahesteht, stellte sich hingegen auf die Seite der EU und der Justiz.
Er stemmt sich unter anderem gegen die Personalvorschläge der
Regierung für die Neubesetzung der Spitze der Antikorruptionseinheit
der Staatsanwaltschaft. Zuletzt lehnte Iohannis auch die Neubesetzung
der Armee-Spitze ab und verlängerte stattdessen das Mandat des
aktuellen Generalstabschefs. Nun will das Verteidigungsministerium
deswegen gegen Iohannis vor Gericht ziehen.

Streit gibt es außerdem darüber, wer eigentlich Rumänien während de
s
EU-Vorsitzes vertritt - unter anderem bei den Treffen der Staats- und
Regierungschefs in Brüssel. Ministerpräsidentin Viorica Dancila hatte
zuletzt Ansprüche angemeldet. Doch Außenminister Teodor Melescanu
stellte klar, dass zwei Verfassungsgerichtsurteile hierfür den
Staatschef vorsehen.

Doch das Land will die Präsidentschaft dennoch auch zur Imagepflege
nutzen. Dass die Rumänen sich als Teil der westeuropäischen
Zivilisation begreifen, signalisiert nun der Ort, an dem am
Donnerstagabend die Ratspräsidentschaft mit Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker und dem ständigen EU-Ratschef Donald Tusk
eingeläutet wurde: das Bukarester Konzerthaus Athenäum, Sitz der
Staatsphilharmonie. Der vor mehr als 130 Jahren eingeweihte Bau war
mit Spenden der Bevölkerung und auf Betreiben des gebildeten
rumänischen Großbürgertums entstanden, das Ende des 19. Jahrhunderts

die Bildung der Massen fördern wollte.

Bei der feierlichen Zeremonie gab es einige mahnende Worte: «Es liegt
nur an Ihnen, ob die rumänische Politik für Europa ein gutes Beispiel
oder eine düstere Warnung wird», sagte Tusk. Juncker betonte: Wenn es
um den Rechtsstaat gehe, gebe es keine Kompromisse. Und: Die Einheit
der gesamten rumänischen Nation sei entscheidend.

Während der Eröffnungsfeier protestierten vor dem Konzerthaus nach
Angaben von Augenzeugen mehrere Hundert Menschen gegen die Versuche
zum Abbau des Rechtsstaats durch die sozialliberale Regierung.

Indes geben immer mehr der rund 22 Millionen Rumänen die Hoffnung auf
ein besseres Leben in ihrer Heimat auf und verlassen das Land.
Mindestens 3,5 Millionen von ihnen arbeiten nach Schätzungen der
Gewerkschaften im Ausland. Die Wirtschaft beklagt den
Fachkräftemangel. Zudem zerreißt die Arbeitsmigration Familien - mit
dramatischen Folgen für Kinder. Etwa eine Viertelmillion rumänischer
Kinder wachsen derzeit nach Schätzungen ohne einen oder ohne beide
Elternteile auf - weil viele Väter und Mütter, die im Ausland jobben,
den Nachwuchs zu Hause lassen, in der Obhut von Großeltern, Nachbarn
oder Kinderheimen.

Die Abwanderung der meist jungen und gut ausgebildeten Rumänen könnte
mit ein Grund dafür sein, dass die EU-Begeisterung im Land in
Umfragen weniger zu Buche schlägt als früher: 2015 hatten noch 77
Prozent der Rumänen ein positives Bild von der EU, im Dezember 2018
waren es laut Eurobarometer nur noch 52 Prozent. Es ist, immerhin,
gerade noch ein wenig mehr als der EU-Durchschnitt von 48 Prozent.