Schulverweigerer aus Hessen scheitern vor Menschenrechtsgericht

10.01.2019 15:40

Wo lernen Kinder am besten? Zuhause - davon ist zumindest eine
christliche Familie aus Hessen überzeugt und legte sich mit den
Behörden an. Diese brachten die Kinder schließlich kurzzeitig im Heim
unter. Eine Menschenrechtsverletzung?

Straßburg (dpa) - Vehemente Schulgegner aus Hessen haben vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Niederlage erlitten.
Das Straßburger Gericht sieht die Rechte der christlichen Familie
durch die kurzzeitige Unterbringung ihrer Kinder im Heim nicht
verletzt, wie aus einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil
hervorgeht (Beschwerdenummer 18925/15).

Das Paar aus der Nähe von Darmstadt hatte sich unter anderem aus
religiösen Gründen geweigert, seine vier Kinder in die Schule zu
schicken, und unterrichtete sie zuhause. Die Behörden holten die
Kinder daraufhin 2013 aus der Familie und brachten sie für drei
Wochen im Heim unter, um die Schulpflicht durchzusetzen. Die Eltern
sehen dadurch ihr Menschenrecht auf Familienleben verletzt.

Die Tür ihres Hauses sei damals mit einem Rammbock geöffnet, die
Wohnung «gestürmt», die Eltern zur Seite gestoßen und die Kinder
«weggezerrt» worden, sagte der Vater vor knapp zwei Jahren bei einem
Besuch in Straßburg.

Der Staat habe kein Recht, Kinder wegen Heimunterrichts aus ihren
Familien zu «entführen», sagte er nun laut einer Pressemitteilung der

konservativ-christlichen gemeinnützigen Organisation ADF
International, die die Familie in dem Verfahren unterstützte. «Wir
haben uns entschieden, unsere Kinder zuhause zu unterrichten, weil
wir glauben, dass das die beste Umgebung für sie ist, um zu lernen
und zu gedeihen.»

Die Straßburger Richter hielten am Donnerstag zwar fest, dass mit dem
teilweisen Sorgerechtsentzug in das Recht auf Familienleben
eingegriffen worden sei. Die Gründe dafür seien aber «relevant und
ausreichend» gewesen. Die deutschen Behörden hätten Grund zur Annahme

gehabt, dass die Kinder in Gefahr schwebten, isoliert waren und
keinen Kontakt zu Menschen außerhalb der Familie hatten.

Die Eltern hätten weniger strenge Maßnahmen durch fehlende
Kooperation mit den Behörden verhindert. So hätten sie den Behörden
nicht erlaubt, den Lernstand der Kinder zu überprüfen. Außerdem
hätten selbst vorher angeordnete Ordnungsgelder sie nicht von ihrer
Weigerung abgebracht, die Kinder in die Schule zu schicken. Das
Urteil kann innerhalb von drei Monaten angefochten werden.

Unterricht zuhause ist in Deutschland nicht erlaubt, sofern die
schulpflichtigen Kinder nicht länger krank sind. Eltern, die ihren
Kindern den Schulbesuch verweigern, drohen auch Haftstrafen. Das
Bundesverfassungsgericht begründete dies 2014 mit dem Interesse der
Allgemeinheit, religiös oder weltanschaulich motivierten
Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. In anderen europäischen
Ländern sind die Regeln für das sogenannte Homeschooling weitaus
weniger streng. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
urteilte jedoch 2006: Es gibt kein Recht auf Heimunterricht.

Die Kultusministerkonferenz geht nach Angaben von Sprecher Torsten
Heil davon aus, dass in Deutschland etwa 500 bis 1000 Kinder zu Hause
unterrichtet werden. Schätzungen seien jedoch schwierig, weil es sich
um einen Graubereich handele. Der wissenschaftliche Dienst des
Bundestages schrieb 2009 in einem Bericht, dass die Zahl vermutlich
sinke, weil viele Familien ins Ausland abwanderten.

Der Anwalt der Familie aus Hessen, Robert Clarke, hält Homeschooling
für ein Anrecht der Eltern. Sie müssten ihren Überzeugungen
entsprechend frei entscheiden dürfen, wie ihre Kinder erzogen werden
sollten, sagte er vor der Urteilsverkündung der Deutschen
Presse-Agentur.

Über den Fall der hessischen Schulverweigerer sagte er: «Eine Familie

wurde vom deutschen Staat auseinandergerissen.» Tests hätten gezeigt,
dass die Leistungen der Kinder in manchen Bereichen
überdurchschnittlich gewesen seien, in anderen unterdurchschnittlich
- wie bei anderen Schülern auch. Nachdem die Kinder zurück bei ihren
Eltern waren, seien sie noch etwa ein Jahr zur Schule gegangen. Dann
seien sie wieder von zuhause aus unterrichtet worden, sagte Clarke.
Heute sind sie nach Angaben der Familie zwischen 13 und 19 Jahre alt.