«Zeit der Spielchen ist vorbei»: Brexit-Drama hält Europa in Atem

16.01.2019 10:02

Überraschend deutlich hat das britische Parlament «No» gesagt zum
Brexit-Deal. Premierministerin May muss nach der schweren Klatsche
ein Misstrauensvotum überstehen. Und was dann?

London (dpa) - Nach dem klaren Nein des britischen Parlaments zum
Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May schaut Europa gespannt
auf die Entwicklung in Großbritannien. «Ein geordneter Austritt
bleibt in den nächsten Wochen unsere absolute Priorität», sagte
EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Mittwoch im Europaparlament.
Allerdings sei die Gefahr eines «No Deal»-Brexits so groß wie nie.
Außenminister Heiko Maas forderte die Briten dazu auf, ihre Position
möglichst schnell zu klären. «Die Zeit der Spielchen ist jetzt
vorbei», sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk.

Nach ihrer schweren Niederlage im britischen Unterhaus muss sich May
am Mittwochabend einer Misstrauensabstimmung stellen. Es gilt als
wahrscheinlich, dass sie die nötigen Stimmen bekommt und weitermachen
kann. Am Dienstagabend hatte das Parlament das zwischen Brüssel und
London ausgehandelte Brexit-Abkommen überraschend deutlich abgelehnt.
Die Premierministerin kündigte an, sich mit allen Parteien zu
treffen, falls das Parlament ihr das Vertrauen ausspreche. An diesem
Montag wolle sie einen Plan B vorlegen, um einen chaotischen
EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen doch noch zu verhindern.

Großbritannien will die Europäische Union am 29. März verlassen. Wenn

ein «No Deal»-Austritt ohne Abkommen verhindert werden soll, muss es
bis dahin eine Einigung geben. Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier warnte vor den möglichen Folgen: «Es würden alle in Europa
verlieren», sagte der CDU-Politiker im «Morgenmagazin» des ZDF. Vor
allem die Briten würden unter einem ungeregeltem Ausstieg leiden.
Dies hätte schwere Konsequenzen für Wohlstand und Arbeitsplätze.

Zugleich warb Altmaier um Gelassenheit. «Ich glaube, wir sollten den
Briten die Möglichkeit geben, ihre Position zu klären.» Er stellte
klar, dass der Deal mit der EU «substanziell nicht nachverhandelbar»
sei. Wenn die britische Regierung aber etwas Neues vorschlage, müsse
man in der EU darüber reden, «was das für uns bedeutet».

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält es für wahrscheinlich,
dass die Briten nachverhandeln und dann erneut im Parlament abstimmen
wollen. Er sei aber nicht sonderlich davon überzeugt, denn beim
Brexit-Deal sei man schon zum Äußersten gegangen, sagte er nach
Angaben der Nachrichtenagentur AFP am Dienstagabend. Österreichs
Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte nach dem Scheitern des Abkommens
im Unterhaus Nachbesserungen seitens der EU ausgeschlossen.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sagte am
Mittwoch im Europaparlament, man müsse nun die nächsten
Entscheidungen in Großbritannien abwarten. «Aber wir haben auch die
Pflicht, uns auf jedes mögliche Szenario vorzubereiten.»

Dass es eine weitere Volksabstimmung in Großbritannien über den
Brexit geben könnte, hält der britische Botschafter Sebastian Wood
nicht für wahrscheinlich. «Im Moment sehe ich keine Mehrheit im
Parlament für ein zweites Referendum», sagte er im
ZDF-«Morgenmagazin». Zudem zeigten Umfragen, dass es in der
Bevölkerung keinen Stimmungswandel gebe. Wood geht davon aus, dass
May das Misstrauensvotum übersteht. «Die stärkste Karte in ihrer Hand

bleibt, dass niemand einen Vorschlag hat, der bessere Chancen hat,
eine Mehrheit zu bekommen», sagte er.

Die Anleger am deutschen Aktienmarkt reagierten gelassen auf die
klare Ablehnung des Brexit-Abkommens. «Es hat den Anschein, als seien
Händler und Investoren gut vorbereitet gewesen», sagte Chefstratege
Michael McCarthy vom Broker CMC Markets. Der Dax rückte kurz nach der
Eröffnung um 0,41 Prozent auf 10 936,34 Punkte vor. Sowohl der Euro
als auch das britische Pfund bewegten sich am Morgen wenig.