Labour-Chef Corbyn und seine seltsame Rolle beim Brexit

16.01.2019 12:23

London (dpa) - Im jahrelangen Brexit-Drama der Briten hat Jeremy
Corbyn eine der widersprüchlichsten Rollen. Bereits Jahrzehnte, bevor
der einst notorisch querschießende Hinterbänkler an die Spitze der
oppositionellen Labour-Partei rückte, war er als EU-Skeptiker
bekannt. Der Londoner kritisierte den Staatenbund von links, unter
anderem für seine Wirtschaftspolitik. Im September 2015, Monate vor
der Brexit-Volksabstimmung der Briten, machte die Basis der
britischen Sozialdemokraten Corbyn überraschend zum Kopf einer
Partei, die ganz offiziell den Austritt aus der EU verhindern wollte.

Bis heute muss Corbyn sich - wie viele andere auch - vorwerfen
lassen, er habe nicht leidenschaftlich genug für das
Anti-Brexit-Lager gekämpft. Und bis heute ist das Spiel des
69-Jährigen nicht immer durchschaubar. Er dringt auf eine Neuwahl des
Parlaments und versucht, die konservative Premierministerin Theresa
May über ein Misstrauensvotum im Parlament zu stürzen.

Und dann? Mit ihm als Premier werde es trotzdem einen Brexit geben,
hat er klargemacht, er werde aber neu verhandeln. Dafür gab es sehr
viel Kritik. Aus den eigenen Reihen gibt es Druck auf ihn, sich für
ein zweites Brexit-Referendum auszusprechen, einer neuen Umfrage
zufolge will das eine deutliche Mehrheit der Labour-Wähler.

Dass der etwas kauzige Corbyn Labour-Chef wurde und gerade von jungen
Anhängern als linke Erlösergestalt gefeiert wurde, erschütterte das
Richtung politischer Mitte orientierte Partei-Establishment
nachhaltig. Politisch links sozialisiert wurde er in der Familie und
arbeitete für Gewerkschaften, bevor er in den 1970er Jahren in die
Politik ging. Dem britischen Unterhaus gehört er seit 1983 an.

Kritiker werfen dem Alt-Linken eine einseitige Unterstützung der
Palästinenser im Nahostkonflikt vor. Zudem werden seit Jahren gegen
Corbyn und seine Partei Antisemitismus-Vorwürfe erhoben. Im
vergangenen August räumte Corbyn in einem Video öffentlich ein, dass
seine Oppositionspartei ein Problem mit Antisemitismus habe.
Disziplinarverfahren gegen antisemitische Parteimitglieder seien zu
langsam und zu zaghaft betrieben worden.