Mutter aller Parlamente: Skurile Traditionen im britischen Unterhaus

16.01.2019 13:09

London (dpa) - «Order, Order» - mit diesem Ruf interveniert
Parlamentssprecher John Bercow, wenn es im britischen Unterhaus
wieder einmal hoch hergeht. Das kommt häufig vor. Vor allem während
wichtiger Debatten und der wöchentlichen «Prime Minister's Question
Time», wenn sich die Regierungschefin den Fragen des Oppositionschefs
und der Abgeordneten stellen muss. Dann werden Wortbeiträge gerne von
der jeweils anderen Seite mit Raunen, Buh- und Zwischenrufen bedacht.
Für die eigene Seite lässt man dagegen auch mal ein lautstarkes
«Yeah, Yeah, Yeah» hören. Trotzdem bleibt man immer förmlich. Ander
e
Mitglieder werden immer nur in der dritten Person angesprochen.

Unterteilt werden die Mitglieder des Unterhauses in Frontbencher und
Backbencher (Vorderbänkler und Hinterbänkler). In der vordersten
Reihe sitzen die Regierungsmitglieder, ihnen gegenüber sitzt das
Schattenkabinett. Das ist ein Kreis designierter Regierungsmitglieder
um den Oppositionsführer. Sie sind dafür zuständig, den Ministern in

ihren jeweiligen Politikfeldern die Hölle heiß zu machen. Nicht jeder
Abgeordnete hat einen Platz im Parlament, bei wichtigen Abstimmungen
sitzen daher viele auch auf den Treppen oder drängen sich im
Eingangsbereich oder um den Sitz des Sprechers.

Abgestimmt wird, indem die Abgeordneten die Kammer entweder durch die
«Aye-Lobby» oder durch die «No-Lobby», zwei Flure in
entgegengesetzter Richtung, verlassen. Die Abgeordneten werden dabei
gezählt. Zwei Parlamentarier von jeder Seite - die sogenannten Teller
- sind dafür zuständig, die Auszählung zu überwachen und treten
anschließend vor den Sprecher und verkünden das Ergebnis. Der stellt
dann fest, welche Seite gewonnen hat.

Jeder Sitzungstag wird durch eine feierliche Prozession eröffnet, bei
der ein königlicher Zeremonienstab (The Mace) an seinen Platz in der
Mitte der Kammer getragen wird. Ist der Stab nicht an seinem Platz,
kann nicht getagt werden. Es gilt als außergewöhnliche Form des
Protests, wenn Abgeordnete sich den Stab schnappen und damit die
Sitzung unterbrechen. So geschehen erst kürzlich im Dezember, als der
Labour-Abgeordnete Lloyd Russell-Moyle seinen Unmut über die
Verschiebung der Abstimmung zum Brexit-Deal ohne vorherige Befragung
des Parlaments zum Ausdruck bringen wollte.

Das britische Wahlsystem kennt nur das Direktmandat. Daher kann
weitaus weniger Druck auf einzelne Abgeordnete ausgeübt werden als in
Deutschland, wo Abgeordnete teilweise über eine Parteiliste ins
Parlament kommen. Dafür wird in Großbritannien manchmal mit
schmutzigen Tricks gekämpft. Die Whips (Einpeitscher), die dafür
zuständig sind, Abgeordnete auf Linie zu bringen, erstellen dafür
angeblich Listen mit wunden Punkten und pikanten Vergehen von
Abgeordneten.