im 6. Absatz) EU fordert schnelle Brexit-Ansagen von London - May lehnt Neuwahl ab

16.01.2019 18:11

Trotz ihrer krachenden Niederlage bei der Brexit-Abstimmung ist die
britische Premierministerin May gegen eine Neuwahl. Sie will mit
allen Parteien reden und bald einen Plan B vorlegen. Reicht die Zeit?

London/Berlin/Straßburg (dpa) - Die EU fordert schnelle Ansagen aus
London, die britische Politik ist mit sich selbst beschäftigt: Nach
dem historischen «No» zum Brexit-Vertrag ist keine Lösung für den
EU-Austritt Großbritanniens in Sicht. EU-Spitzenpolitiker schlossen
eine Neuverhandlung des Abkommens aus. Großbritannien müsse nun
alleine eine Lösungsmöglichkeit entwickeln, wurde Kanzlerin Angela
Merkel am Mittwoch nach einer Sitzung im Auswärtigen Ausschuss des
Bundestages von Teilnehmern zitiert. Im britischen Unterhaus musste
sich Premierministerin Theresa May am Mittwochabend einem
Misstrauensantrag stellen.

Oppositionschef Jeremy Corbyn forderte eine Neuwahl. Die heftige
Niederlage bei der Abstimmung über den Brexit-Deal am Dienstagabend
habe gezeigt, dass May nicht in der Lage sei, weiterzumachen. «Diese
Regierung hat unser Land im Stich gelassen, sie kann nicht regieren»,
sagte der Labour-Politiker. May konterte, eine Neuwahl sei «das
Schlechteste, was wir machen können». Sie würde die Spaltung im Land

vertiefen, Chaos und Stillstand bringen.

Es galt als wahrscheinlich, dass May bei dem Votum die nötigen
Stimmen bekommt und weitermachen kann. An diesem Montag will sie
einen Plan B vorlegen, um einen chaotischen EU-Austritt doch noch zu
verhindern. Wenn ein «No Deal»-Austritt ohne Abkommen vermieden
werden soll, muss es innerhalb weniger Wochen eine Einigung geben. Am
29. März will Großbritannien aus der EU austreten.

Merkel will ihre Bemühungen um einen geregelten Brexit fortsetzen.
«Wir wollen den Schaden - es wird in jedem Fall einen Schaden geben
durch den Austritt Großbritanniens - so klein wie möglich halten.
Deshalb werden wir natürlich versuchen, eine geordnete Lösung weiter
zu finden», sagte sie. Die Bundesregierung sei aber auch vorbereitet,
wenn es keine geordnete Lösung gebe.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe eine gemeinsame
Linie mit den europäischen Hauptstädten abgesteckt, sagte sein
Sprecher Margaritis Schinas in Brüssel. «Zum jetzigen Zeitpunkt gibt
es nichts, was die EU noch tun könnte», sagte Schinas. «Ein
geordneter Austritt bleibt in den nächsten Wochen unsere absolute
Priorität», sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier im
Europaparlament. Allerdings sei die Gefahr eines «No Deal»-Brexits so
groß wie nie.

Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte die Briten auf, ihre Position
möglichst schnell zu klären. «Die Zeit der Spielchen ist jetzt
vorbei», sagte er im Deutschlandfunk. Die SPD-Spitzenkandidatin für
die Europawahl, Katarina Barley, verlangte zügige Vorschläge von
London, wie das weitere Verfahren aussehen könne.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warnte vor den möglichen
Folgen eines ungeregelten Brexits: «Der würde Arbeitsplätze kosten,
besonders in Großbritannien, aber auch im übrigen Europa», sagte der

CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. «Ich sehe mit dem
gestrigen Ergebnis die Chance für eine Denkpause, die dazu führen
kann, dass man auch in Gesprächen zwischen der Europäischen Union und
Großbritannien vernünftige Lösungen findet. Aber dazu müssen wir
abwarten, bis die britische Politik ihre Position gefunden hat.»

Premierministerin May will mit allen Parteien das weitere Vorgehen
besprechen, falls das Parlament ihr das Vertrauen ausspricht. Die
schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine neue
Volksabstimmung über den EU-Austritt und drohte indirekt mit einem
neuen Unabhängigkeitsreferendum. «Ein zweites Referendum ist die
einzige Möglichkeit, dass Schottland als Teil des Vereinigen
Königreichs in Europa bleibt», sagte Sturgeon der «Bild»-Zeitung
(Donnerstag). «Unser Platz in Europa muss geschützt werden.»

EU-Politiker sehen jetzt Großbritannien am Zuge. «Bitte, bitte,
bitte, sagt uns endlich, was ihr erreichen wollt», appellierte der
Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), an
das britische Parlament. Gleichzeitig bekräftigten EU-Politiker, dass
sie keine Alternative zu dem abgelehnten Austrittsabkommen sehen und
Nachbesserungen oder Zugeständnisse an London ablehnen.

Das zwischen den 27 EU-Ländern und London ausgehandelte
Brexit-Abkommen sei der «bestmögliche Vertrag», sagte Frankreichs
Regierungssprecher Benjamin Griveaux fügte hinzu: «Er ist nicht neu
verhandelbar.» Dies betonte auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz.

In der Wirtschaft und bei Verbrauchern sorgte die Ablehnung des
Abkommens für Verunsicherung. «Ein «No Deal» bedeutet nicht einfach

nur Güterhandel mit Zöllen, sondern dürfte den Handel zwischen der EU

und Großbritannien vorübergehend komplett zum Erliegen bringen»,
sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW),
Dennis Snower. Der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, Carl
Martin Welcker, nannte es «schlicht verantwortungslos, dass die
britische Regierungskoalition zehn Wochen vor dem Austrittstermin
noch um eine einheitliche Position streitet».

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller,
forderte, Großbritannien müsse alles für einen geregelten Austritt
tun. Viele Verbraucher planten bereits ihren Osterurlaub. «Sie
brauchen dringend Klarheit darüber, welche Regeln dann gelten werden
und ob sie bei einem Urlaub in Großbritannien noch auf ihre gewohnten
Rechte vertrauen können.»

Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft warnten am Mittwoch vor
Konjunkturrückschlägen und forderten die Unternehmen auf, sich für
einen drohenden ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens zu wappnen.
Pharmaverbände mahnen, im Falle eines ungeordneten Brexits drohten
Engpässe bei Medikamenten. Die Finanzmärkte blieben zunächst
weitgehend unbeeindruckt, da der erwartete Ausgang der
Parlamentsabstimmung bei Investoren weitgehend «eingepreist» war.
Auch wird weiter ein Brexit-Deal noch in letzter Minute erhofft.
Pfund und Euro reagierten kaum.