Die Gasleitung und ein fehlender Macron: Berlin und Paris uneins? Von Christian Böhmer, dpa

07.02.2019 19:28

Die neue Gas-Leitung von Russland nach Europa sorgt für Streit
zwischen Deutschland und Frankreich. Und dann meidet Präsident Macron
noch eine Topveranstaltung in Deutschland. Was steckt dahinter?

Paris/Berlin (dpa) - Angesichts erstarkter Populisten und
Nationalisten in Europa zeigen sich die EU-Schwergewichte Deutschland
und Frankreich gerne Hand in Hand. Erst vor gut zwei Wochen
erneuerten Kanzlerin Angela Merkel und Staatschef Emmanuel Macron in
Aachen feierlich den 56 Jahre alten Élysée-Freundschaftsvertrag. Doch
hinter den Kulissen brodelt es, wie das Gerangel um Änderungen an der
Brüsseler Gas-Richtlinie zeigt. Das EU-Gesetz hat große Bedeutung für

die von Russland nach Europa führende Gasleitung Nord Stream 2, die
von Berlin mit harten Bandagen verteidigt wird.

Dazu kommt erschwerend noch eine Absage: Der einstige
Senkrechtstarter Macron, der in seiner Heimat schwer unter Druck
geraten ist, verzichtet auf seinen Auftritt bei der Münchner
Sicherheitskonferenz in der kommenden Woche. In Paris versuchen
Diplomaten zu beruhigen: Die Absage habe nichts zu tun mit dem Streit
über die Gas-Richtlinie, deren Änderung von Frankreich befürwortet
wird und die zusätzliche, unbequeme Auflagen für das umstrittene
Pipeline-Vorhaben bringen könnte. Einen Zusammenhang zwischen der
Macron-Absage und der Positionierung der Pariser Machtzentrale zu dem
weit überwiegend von Russland finanzierten Nord-Stream-Projekt will
man in Berlin zunächst ebenfalls nicht herstellen.

Die Entscheidung Macrons, zu Hause zu bleiben, sei schon vor einer
Woche gefallen und dann vor einigen Tagen bestätigt worden, ist an
der Seine zu hören. Der sozialliberale Herr des Élyséepalasts hatte
schon im Vormonat davon abgesehen, bei der Jahrestagung des
Weltwirtschaftsforums im Davos zu erscheinen. Wie auch immer: Einen
gemeinsamen Auftritt Merkels und Macrons mit dem deutlichen Signal
europäischer Solidarität in turbulenten Zeiten wird es in der
bayerischen Metropole eben nicht geben. «Wir wollen zeigen, dass die
EU nicht dabei ist zu zerbröseln», hatte Konferenzleiter Wolfgang
Ischinger gesagt. Der Ex-Botschafter muss nun umorganisieren.

In der französischen Hauptstadt wird deutlich gemacht, dass der 41
Jahre Macron nach knapp zwei Jahren Regierungszeit innenpolitische
Prioritäten habe. Angesichts der seit Monaten schwelenden
«Gelbwesten»-Krise muss der politisch angeschlagene Europafreund auf
ganz viele wütende Landsleute zugehen und seine Legitimität bei
langen Debatten in den Regionen des Landes wiedergewinnen. Wird es
nach Ende der «nationalen Debatte» um Reformen ein Referendum geben?
Und wenn ja, mit welchen Themen? Schafft Macron damit die Wende und
rettet seine Amtszeit? Um diese und andere Fragen dreht sich die
französische Politik - andere Themen geraten da eher in den
Hintergrund.

«Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in der Europapolitik» -

so steht es wörtlich im am 22. Januar unterzeichneten Aachener
Vertrag von Deutschland und Frankreich. Warum es nun bei
Gas-Richtlinie hakt, wurde zunächst nicht richtig klar. Als eine
mögliche Erklärung für die neue französische Positionierung wurde d
er
Drucks Washingtons mit möglichen neuen Russland-Sanktionen genannt.
Diese könnten auch den in Russland sehr aktiven französischen
Ölkonzern Total treffen. Eine Vermutung lautet, dass die USA
Frankreich mit solchen Gedankenspielen zumindest indirekt erpresst
haben könnten. Wenig überraschend: In Paris wird diese Theorie nicht
bestätigt.

Im Ausland wird darauf hingewiesen, dass Nord Stream 2 auch in
Deutschland umstritten ist. Selbst in der Unionsfraktion im Bundestag
hat die Pipeline ihre Anhänger und ihre Gegner.
CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer etwa weist Kritik an dem
Riesenprojekt zurück. Die Pipeline stärke Europa und schwäche es
nicht. «Es erhöht die Versorgungssicherheit und macht uns politisch
unabhängiger, auch von Ramboattacken aus den USA», lautet sein Credo.

Widerspruch kommt hingegen vom Vorsitzenden des Auswärtigen
Ausschusses, Norbert Röttgen. «Die Politik der Bundesregierung in
Sachen Nord Stream 2 ist seit Jahren einseitig», sagte der
CDU-Politiker dem «Tagesspiegel». Es werde etwa keine Rücksicht auf
Sicherheitsbedenken der osteuropäischen Nachbarn genommen.
Deutschland habe sich in dieser Frage isoliert.

In der neu aufgeflammten Debatte weisen Experten darauf hin, dass die
engen EU-Partner Frankreich und Deutschland in der Energiepolitik
seit langem jeweils einen anderen Kurs steuern. Eine Annäherung ist
kaum in Sicht. Deutschland ist in den kommenden Jahren auf mehr Gas
auch aus Russland angewiesen. Denn bis 2022 will Deutschland aus der
Kernenergie aussteigen, bis 2038 nun außerdem schrittweise aus dem
Kohlestrom. Frankreich hält hingegen am Atomstrom fest - und sieht
sich damit auch als ein internationaler Vorreiter beim Klimaschutz.