Vorübergehend Eiszeit: Verhärtete Fronten zwischen Paris und Rom Von Lena Klimkeit und Julia Naue, dpa

08.02.2019 16:04

Es ist ein Warnschuss: Der Rückruf des französischen Botschafters aus
Rom ist zwar nur vorübergehend, aber doch das letzte Mittel vor dem
Ende einer diplomatischen Beziehung. Aus dem Streit der Nachbarn ist
ein ernsthaftes Problem geworden - auch für Europa.

Paris/Rom (dpa) - In der diplomatischen Krise zwischen den
EU-Partnern Frankreich und Italien sind die Fronten verhärtet. Der
französische Regierungssprecher Benjamin Griveaux machte am Freitag
den italienischen Vize-Regierungschef Luigi Di Maio und seinen
unangemeldeten Besuch bei Aktivisten der «Gelbwesten» in Frankreich
für den Rückruf des französischen Botschafters verantwortlich. «Das

ist kein dauerhafter Rückruf», sagte er dem Radiosender Europe 1.
Aber man wolle ein Signal nach Italien senden. Und es dürfte auch
nicht der unangemeldete Besuch Di Maios allein gewesen sein, der
Frankreich so verärgert hat. In Italien gibt man sich überzeugt,
keinen Fehler gemacht zu haben.

Paris hatte am Donnerstag seinen Botschafter aus dem Nachbarland für
Gespräche zurückgerufen. Zuvor hatte Di Maio sich in einer
französischen Kleinstadt mit Vertretern der «Gelbwesten» getroffen -

auch um eine mögliche Zusammenarbeit bei der Europawahl auszuloten.
Das Treffen markiert nun den Gipfel der Auseinandersetzungen. Die
Protestbewegung hat den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in
die schwerste Krise seiner bisherigen Amtszeit gestürzt.

Griveaux machte deutlich, dass Paris nicht über den Besuch von Di
Maio informiert worden sei. «Wenn ein Minister einer ausländischen
Regierung nach Frankreich kommt (...), erfordern es der Anstand, die
Höflichkeit und die elementarste Diplomatie, dass die Regierung
benachrichtigt wird.» Di Maio bezeichnete das Treffen als «vollkommen
legitim». «Ich bin Europäer. Und sich in einem Europa ohne Grenzen zu

befinden, bedeutet auch Freiheit für die politischen Beziehungen,
nicht nur für den Waren- und Personenverkehr», sagte er der
italienischen Tageszeitung «Il Messaggero».

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Italien sind seit Wochen auf
einem Tiefpunkt. Die populistische Regierung aus rechter Lega und
europakritischer Fünf-Sterne-Bewegung in Rom provoziert Macron immer
wieder. Der EU-Haushalt oder die Zurückweisung von Flüchtlingen an
der Grenze sind nur Beispiele einer langen Liste an Streitpunkten.
Die jüngsten Angriffe hätten zu der aktuellen diplomatische Krise
beigetragen, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Paris.

Griveaux sagte nun, der Dialog mit Italien sei zwar nicht
unterbrochen. Er ließ aber auch durchblicken, dass Ansprechpartner
für Macron nicht die Vize-Ministerpräsidenten Di Maio oder Matteo
Salvini seien, sondern der Regierungschef Giuseppe Conte. Der hatte
vor Journalisten während seines Besuchs in Beirut am Donnerstag
erklärt, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht zur
Diskussion gestellt werden könnten. Am Freitag preschte Innenminister
Salvini aber erneut vor und lud seinen Amtskollegen Christophe
Castaner nach Rom ein.

Macron hatte sich persönlich bisher aus dem Konflikt weitgehend
herausgehalten. Seine Entscheidung wird in Frankreich nun auch
kritisch gesehen, habe sie den Konflikt doch nur befeuert. Generell
würden seine Äußerungen weniger Ratschlägen als Lektionen ähneln,

schreibt die Tageszeitung «L'Alsace». Der Präsident hatte jüngst
erklärt, er wolle die Angriffe aus Italien gar nicht erst
kommentieren. In Italien wird das als Arroganz aufgefasst.

Diplomatische Krisen wie diese sind in der EU eine Seltenheit
zwischen Partner-Staaten. 2017 rief Ungarn etwa seinen Botschafter
aus den Niederlanden zurück, weil der damals scheidende
niederländische Botschafter in Budapest harsche Kritik an der
rechtsnationalen Regierung geübt hatte. 2016 kam es in der
Flüchtlingskrise zum Eklat zwischen Griechenland und Österreich. Dass

Frankreich einen Botschafter aus einem EU-Staat zurückbeordert, ist
nach Kenntnis französischer Diplomaten eine Premiere.

Die Krise zwischen Italien und Frankreich spielt sich zwischen zwei
Gründungsländern der Europäischen Union ab. Neben Deutschland sind
sie aus Sicht vieler entscheidend für die Zukunft Europas, auch wenn
es schon vor Antritt der populistischen Regierung immer wieder
Spannungen zwischen Rom und Paris gab. «Italien und Frankreich sind
Nachbarn, die nie versucht haben, sich zu verstehen», schreibt «La
Repubblica».

Die italienischen und französischen Arbeitgeberverbände,
Confindustria und Medef, appellierten an Macron und Conte, einen
konstruktiven Dialog zu führen. Durch den Konflikt könne der
italienische Export «enormen» Schaden nehmen, warnte
Confindustria-Präsident Vincenzo Boccia in der Zeitung «La Stampa».
Nach Deutschland ist Frankreich der wichtigste Wirtschaftspartner
Italiens. Die Regierungsparteien hätten eine Grenze überschritten.

Noch besorgniserregender als der vorübergehende Rückruf des
französischen Botschafters nach Paris sei, dass die Regierung in Rom
die Auswirkungen des «diplomatischen Risses» nicht begreife,
kommentierte die Tageszeitung «Corriere della Sera». Italien laufe
Gefahr, sich in Europa immer weiter zu isolieren.

In Frankreich gibt es auch Verständnis für das Vorgehen des
Außenministeriums, das am Donnerstag harte Worte an Italien richtete.
«Die Tatsache, dass die Initiative aus Frankreich kam, hat mich
überrascht, und man mag ein wenig überreagiert haben, aber die Fakten
sind ernst, daher eine so außergewöhnliche Maßnahme innerhalb der
Europäischen Union», sagte Yves Aubin de La Messuzière, ehemaliger
Botschafter in Rom, der Zeitung «Le Monde».