Studie: Ungeordneter Brexit gefährdet Jobs von 100 000 Deutschen

10.02.2019 12:39

Welche wirtschaftlichen Folgen hat der Brexit? Das wird sich wohl
erst beantworten lassen, wenn es so weit ist. Wissenschaftler haben
nun eine Formel entwickelt, mit der sie eine erschreckende Zahl
errechnet haben - und zwar für Auswirkungen in Deutschland.

Berlin (dpa) - In Deutschland sind einer Studie zufolge die
Arbeitsplätze von mehr als 100 000 Menschen durch einen Brexit ohne
Abkommen bedroht. Über die Untersuchung des Leibniz-Instituts für
Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg berichtete die «Welt am Sonntag». «In keinem anderen

Staat ist der Effekt auf die Gesamtbeschäftigung so groß wie in
Deutschland», sagte einer der Studienautoren, Oliver Holtemöller, der
Zeitung.

Nach einem ungeregelten Brexit würden wieder Zölle auf Importe nach
Großbritannien erhoben. Die Simulation der Wissenschaftler erfasse
nur Jobeffekte, die auf den daraus folgenden Exporteinbruch
zurückzuführen seien. Weitere Brexit-Gefahren für den Arbeitsmarkt,
etwa sinkende Investitionsbereitschaft, bildeten die Zahlen nicht ab.

In Deutschland sei demnach von einem Exportrückgang vor allem die
Autoindustrie betroffen. Die größten Auswirkungen gäbe es - gemessen

an der Gesamtzahl der Beschäftigten - am VW-Standort Wolfsburg und am
BMW-Standort Dingolfing-Landau in Niederbayern. Für Wolfsburg habe
die Formel ergeben, dass 500 Arbeitnehmer potenziell betroffen seien,
für Dingolfing-Landau sind es 265. In beiden Fällen entspräche das
rund 0,4 Prozent der gesamten Beschäftigten.

Viele Arbeitnehmer (726 oder rund 0,3 Prozent) müssten demnach auch
im Landkreis Böblingen bei Stuttgart um ihre Jobs fürchten. Dort
sitzen etwa Technologiekonzerne wie IBM oder Siemens, auch Daimler
hat ein Werk. Ähnlich sei die Situation im Märkischen Kreis im
südlichen Westfalen, wo viele mittelständische Unternehmen mit
Auslandsgeschäft sitzen - laut der Formel sind hier 703 Stellen oder
0,3 Prozent der Beschäftigten potenziell bedroht.

Zusammengefasst: Gefahren sehen die Wissenschaftler vor allem für
Landkreise in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Jobs
in Ostdeutschland seien dagegen kaum gefährdet.

Nach Deutschland sei Frankreich das EU-Land, dessen Arbeitsmarkt
durch einen ungeregelten Brexit am stärksten bedroht sei. Hier seien
fast 50 000 Arbeitnehmer betroffen. In China seien es knapp 59 000.
Gemessen an der Gesamtbevölkerung seien die Auswirkungen in Malta und
Irland am größten. Weltweit gehe es den Berechnungen zufolge um
612 000 Menschen, die nach einem ungeregelten Brexit ihren Job
verlieren könnten.

Die Zahlen sind Ergebnisse einer Simulationsrechnung: Für die
Untersuchung sind die Autoren davon ausgegangen, dass die Importe
Großbritanniens nach einem ungeordneten Brexit um 25 Prozent
einbrechen - ein Wert, der gängigen wissenschaftlichen Schätzungen
entspreche. Sie entwickelten eine Formel, mit der sie berechnen
konnten, wie sich ein solcher Importeinbruch auf welche Industrie und
welches Land auswirkt. Grundlage dafür waren Daten der World Input
Output Database (WIOD), die die Welthandelsverflechtungen von Staaten
dokumentiert.

Andere Brexit-Nachrichten dürften Arbeitnehmern in der EU dagegen
Hoffnung machen. Das niederländische Wirtschaftsministerium teilte am
Samstag mit, dass 42 britische Unternehmen seit 2018 in die
Niederlande umgezogen seien. Damit waren demnach rund 291 Millionen
Euro Investitionen verbunden, etwa 2000 neue Arbeitsplätze seien
geschaffen worden.