Das Airbus-Modell: «Europäische Champions» - hilfreich oder Hemmnis? Von Alkimos Sartoros und Andreas Hoenig, dpa

11.02.2019 05:00

Das Veto der EU-Kommission gegen die Bahnfusion von Siemens und
Alstom hat eine Debatte über eine Reform des Wettbewerbsrechts
ausgelöst. Vorn mit dabei: Deutschland und Frankreich. Aber könnte
der Schuss auch nach hinten losgehen?

Brüssel/Berlin (dpa) - Der Wind wird rauer. Europa droht in eine
Zange zu geraten. US-Präsident Donald Trump verfolgt eine einseitig
auf den eigenen Vorteil ausgerichtete Wirtschaftspolitik, sein
Handelskonflikt mit China könnte auch Europa hart treffen. Und die
Volksrepublik spielt zudem ohnehin nicht nach marktwirtschaftlichen
Regeln, Unternehmen erhalten massive staatliche Unterstützung,
europäischen Firmen wird der Zugang teils schwer gemacht.

Das ist die Ausgangslage für eine Debatte, die nun an Fahrt gewinnt:
Sind mehr «europäische und nationale Champions» notwendig, die es im

härter werdenden internationalen Wettbewerb mit den Konkurrenten aus
den USA und Asien aufnehmen können? Muss der Staat solche Champions
fördern und sich möglicherweise mit Milliarden am Aufbau von
Bündnissen beteiligen?

Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist die Sache
klar: Europa braucht Großkonzerne, um im internationalen Wettbewerb
besser bestehen zu können. Europa und Deutschland müssten mehr tun
und eine aktivere Industriepolitik betreiben, heißt es in Altmaiers
neuer Industriestrategie.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war das jüngste
Veto der EU-Kommission gegen die Bahnfusion von Siemens und dem
französischen Konkurrenten Alstom. Der Zusammenschluss der beiden
Branchenriesen hätte den Wettbewerb in Europa bei
Hochgeschwindigkeitszügen und Signaltechnik massiv beeinträchtigt,
befand die Brüsseler Behörde. Doch das Grundproblem weist über diesen

Fall hinaus.

Bis Mai will Altmaier gemeinsam mit seinem französischen Kollegen
Bruno Le Maire beide Vorschläge für ein neues EU-Wettbewerbsrecht
vorlegen. Die Details sollen in den kommenden Wochen und Monaten noch
ausgearbeitet werden. Doch schon jetzt ist klar: In der Debatte
steckt Sprengkraft.

Das große Vorbild Altmaiers ist Airbus. Vor Jahrzehnten gegründet,
ist der europäische Flugzeugbauer heute ein großer Player weltweit.
Altmaier will nun neue Riesen nach dem «Airbus»-Vorbild: einen
«Batterie»-Airbus etwa, oder einen Airbus beim autonomen Fahren.

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager aber sieht das ganz
anders. Vor der Gründung von Airbus habe es wenig Wettbewerb im
Flugzeugmarkt gegeben, sagte sie vor kurzem: «Das war eine
US-amerikanische Angelegenheit.» Der US-Anbieter Boeing war lange
Zeit einsam an der Spitze. Der Zusammenschluss kleinerer Akteure in
Europa habe daher den Wettbewerb in dem Markt befördert. Bei der
Fusion der beiden etablierten Unternehmen Siemens und Alstom wäre
aber das Gegenteil der Fall gewesen.

Kann aber ein neues EU-Wettbewerbsrecht die Antwort sein auf die
Konkurrenz aus den USA und China? Die geltenden
EU-Zusammenschlussregeln haben als oberstes Ziel ein sogenanntes
«Level-Playing-Field», also Chancengleichheit für Unternehmen.
Fusionen seien grundsätzlich wünschenswert, sie könnten dazu führen
,
neue Produkte kostengünstiger zu produzieren oder neue Märkte zu
erschließen, heißt es bei der EU-Kommission als Hüterin der
EU-Verträge mit Blick auf das geltende Wettbewerbsrecht. Sie könnten
dadurch zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Wirtschaftswachstum und
letzten Endes zu einem höheren Lebensstandard führen.

Aber: «Manche Fusionen können den Wettbewerb in einem Markt
reduzieren, indem ein dominanter Akteur geschaffen wird. Dies schadet
meist den Verbrauchern durch höhere Preise, weniger Auswahl oder
weniger Innovation», heißt es weiter. Zulieferbetriebe können zudem
in Bedrängnis kommen, wenn sie für ihre Produkte nur noch einen
großen Abnehmer haben, der ihnen die Preise diktieren kann. «Wir
haben ein klares wertebasiertes Mandat: sicherzustellen, dass der
Markt Verbrauchern und Kunden dient», sagt Europas oberste
Wettbewerbshüterin, Margrethe Vestager.

Ein weiteres Feld, das in den Fokus rückt, ist das EU-Beihilferecht.
Es sieht vor, dass wettbewerbsverzerrende Staatshilfen an einzelne
Unternehmen verboten sind. Ausnahmen gibt es allerdings etwa bei der
regionalen Entwicklung.

Vestager hat sich in der Debatte zu Altmaiers ideologischer
Gegenspielerin entwickelt. «Das Wettbewerbsrecht garantiert, dass wir
einen fairen Konkurrenzkampf haben», sagt sie. «Sie hält die Firmen
auf Trab. Ein Unternehmen wird nicht im Ausland konkurrenzfähig sein,
wenn es daheim keine Konkurrenten hat.»

Rückhalt erhält sie von Dutzenden Wettbewerbsrechtlern und Ökonomen.

«Die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen stehen der Bildung von
nationalen oder europäischen «Champions» nicht im Wege», schrieben

diese in einem offenen Brief, der der Deutschen Presse-Agentur
vorliegt - dass vor allem die deutsche sowie die französische
Regierung Initiativen angekündigt hätten, um die europäische
Wettbewerbspolitik zu lockern, sei gefährlich.

Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann meint hingegen: «Der Staat
muss Verantwortung übernehmen. Der Markt allein wird es nicht
richten.» Am Ende läuft es also auf eine alte Frage hinaus: Staat
oder Markt? Die Antwort wird Europa in den kommenden Monaten vor
neuen Herausforderungen finden müssen.