Politischer «Frühling» in Polen? Neue Partei will im Wahljahr punkten Von Natalie Skrzypczak, dpa

11.02.2019 11:50

Als Co-Gastgeber der Nahost-Konferenz brüstet sich Polens Regierung
an der Seite der USA als Global Player. Doch hinter den Kulissen
schickt sich die neue «Frühlingspartei» an, die PiS im Wahljahr zu
entmachten. Zu Wort meldet sich auch der Erzfeind der Regierenden,
Donald Tusk.

Warschau (dpa) - Macht und Stärke will Polens PiS-Regierung als
Co-Gastgeber der umstrittenen Nahostkonferenz an der Seite ihres
Lieblingsverbündeten USA demonstrieren. Es sei das wichtigste
diplomatische Ereignis in Polen seit dem Nato-Gipfel 2016, erklärt
Präsident Andrzej Dudas Kanzlei stolz. Von Gegnern wird die
Konferenz, die Washington in Warschau vom 13. bis 14. Februar
organisiert, dagegen als Anti-Iran-Treffen kritisiert.

Europa und die USA sind in der Frage, wie man mit dem Iran umgehen
soll, tief gespalten. Dass Warschau sich so nahe an die USA von
Präsident Donald Trump anlehnt, stößt bei seinen europäischen
Partnern nicht gerade auf Begeisterung. Gegenwind gibt es für die PiS
aber auch in Polen selbst: Bei der Parlamentswahl im Herbst wollen
alte und neue Kontrahenten die Nationalkonservativen entmachten.

«Frühling» (Wiosna) heißt die neue Bewegung des Ex-Bürgermeisters
der
nordpolnischen Stadt Stolp (Slupsk), Robert Biedron, die sich neben
den großen Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Bürgerplattform
(PO) als dritte Kraft etablieren könnte. Biedron gilt als
Hoffnungsträger der politischen Linken und ist äußert beliebt.

Dem 42-Jährigen, der 2011 als erster geouteter Homosexueller ins
Parlament einzog, vertrauen Umfragen des Instituts CBOS zufolge fast
40 Prozent der Polen. Er kehrte Ende 2018 der Kommunalpolitik den
Rücken, um landesweit eine Alternative zur PiS zu organisieren.

Das trauen Experten Biedron durchaus zu. Die Frühlingsbewegung könne
die Stimmen derer gewinnen, die sich weder mit der PiS noch mit der
liberalkonservativen PO identifizierten, sagt Jacek Kucharzyk vom
Warschauer Think Tank Institut für Öffentliche Angelegenheiten:
«Biedron hat die Messlatte für beide Parteien angehoben.»

Denn die Partei des im südlichen Rymanow geborenen Polen setzt ihren
Fokus auf die Sozialpolitik - ein Erfolgsrezept, mit dem die PiS 2015
die Wahlen gewann und ihre Wähler seither bei der Stange hält: Die
Partei senkte unter anderem das Renteneintrittsalter und führte ein
Kindergeld ab dem zweiten Kind ein. Dieses will Biedron auf
Erstgeborene ausweiten; er kündigte außerdem Anhebungen von
Mindestlohn und Minimalrente an.

Publizisten schreiben Biedron, mit dem sich selbst Polens Prominenz
gerne fotografieren lässt, Showtalent zu. Und das Potenzial, auch den
Liberalkonservativen Konkurrenz zu machen. Denn mit seinem Einsatz
für Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten bezieht er klar
Position. Im Gegensatz zur PO, die im Kampf um ein möglichst breites
Wählerspektrum in vielen Themen uneindeutig bleibt.

Selbst mit seiner Forderung, Staat und Kirche zu trennen, wird
Biedron im katholisch geprägten Polen nach Einschätzung von
Politologen punkten. Nach Angaben der Bischofskonferenz sind mehr als
90 Prozent der Bürger katholisch getauft. Doch viele hätten vom
verstärkten Einfluss der Kirche unter der PiS-Regierung genug, meint
Kucharczyk über die der Kirche nahe stehende Partei.

Gegen eine Verschärfung der ohnehin strengen Abtreibungsgesetze
protestierten 2016 Zehntausende Menschen. Als Zeugnis für den
Überdruss am Einfluss der Kirche wird auch der Erfolg des Kinofilms
«Kler» (Klerus) über Machtmissbrauch in der Kirche und pädophile
Priester angesehen, der Millionen Menschen in die Kinos lockte.

Zu schaffen machen der PiS auch Betrugsvorwürfe gegen ihren Chef
Jaroslaw Kaczynski. Nach Berichten der linksliberalen Zeitung «Gazeta
Wyborcza» soll der PiS-Vorsitzende einen österreichischen
Geschäftsmann für ein inzwischen verworfenes großes Immobilienprojekt

nicht bezahlt haben. Auch das Attentat auf den oppositionellen
Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz kann den Ruf der Regierenden
bis zur Wahl, für die immer noch kein Datum feststeht, strapazieren.
Der Mord wird von Kritikern mit Hetze und Hassreden in
regierungsnahen Medien in Verbindung gebracht.

In dem Fall meldet sich auch Polens Ex-Regierungschef und Kaczynskis
Erzfeind Donald Tusk zu Wort: «Lügen, die von Regierenden für
öffentliche Gelder organisiert werden, sind eine perfide und
gefährliche Form von Gewalt, deren Opfer wir alle sind», schrieb der
EU-Ratspräsident bei Twitter, der nach mehr als vier Jahren in
Brüssel noch immer als inoffizieller PO-Leader angesehen wird. I

Medien spekulieren bereits über seine Rolle im Wahlkampf und eine
mögliche Rückkehr in die Landespolitik. Denn dem PO-Chef Grzegorz
Schetyna trauen Kritiker einen Sieg bei der Wahl gegen die PiS nicht
zu. Unter seiner Führung hinkt die Partei in Umfragen hinterher.
Dagegen wird Tusk regelmäßig als einer der vertrauenswürdigsten
Politiker und möglicher Präsidentschaftskandidat genannt.

Etwa neun Monate vor der Wahl führt die PiS weiter als stärkste
politische Kraft die Umfragen an. Doch Biedron, der eine Koalition
mit der PO nicht ausschloss, trauen Experten und Umfragen ein
zweistelliges Ergebnis zu. Die Europawahl wird ein erster Wegweiser
sein, ob sich der «Frühling» bei den Wahlen im Herbst behaupten kann.