Barnier: London muss sich bewegen - Notfallpläne «mehr denn je nötig » )

11.02.2019 16:56

Die EU plant für den Brexit-Notfall. Falls es einen ungeregelten
Austritt gebe, müsse man vorbereitet sein. Trotz eines neuen Neins
von Theresa May hofft Brüssel nach wie vor auf ein positives Zeichen
der Regierung in London. Was wird May am Dienstag im Unterhaus sagen?

Luxemburg/London (dpa) - Großbritannien muss sich nach Ansicht des
Brexit-Chefunterhändlers des EU, Michel Barnier, im Streit um die
Bedingungen für das Ausscheiden aus der EU bewegen. «Irgendetwas muss
sich bewegen auf der britischen Seite», forderte Barnier am Montag in
Luxemburg einen Tag vor einer neuen Erklärung von Premierministerin
Theresa May im britischen Unterhaus. Barnier reagierte damit auf das
Nein Mays zum Vorschlag des Oppositionsführers Jeremy Corbyn für eine
dauerhafte Zollunion mit der EU. In einem dreiseitigen Brief an den
Labour-Chef zeigte May sich zugleich aber im Streit um ihren
Brexit-Kurs zu weiteren Gesprächen mit der Opposition bereit.

Barnier wollte den abgelehnten Vorschlag des Labour-Politikers nicht
kommentieren, sagte aber, er finde ihn «interessant im Ton und in der
Sache».

Bei einer Zollunion könnte eine offene Grenze zwischen dem zum
Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied
Irland nach dem Brexit beibehalten werden. Bei einer «harten» Grenze
auf der Insel hingegen wird ein Wiederaufflammen des blutigen
Nordirland-Konflikts befürchtet. Damals wurden etwa 3700 Menschen
getötet und fast 50 000 verletzt, rund 500 000 gelten als psychisch
traumatisiert.

Barnier sagte, die EU müsse sich jetzt intensiv auf die Möglichkeit
eines ungeregelten britischen Austritts aus der Europäischen Union
einstellen. «Es sind noch 46 Tage bis zum Austrittsdatum, die Zeit
ist extrem kurz», fügte er hinzu. «Es ist wichtig, dass wir uns auf
alle Szenarien vorbereiten und alle Notfallmaßnahmen ergreifen, die
mehr denn je nötig sind.»

Auf die Frage, ob die EU-Kommission für den Fall eines Brexits ohne
Einigung auf einen Austrittsvertrag auch eine «harte Grenze» zwischen
dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vorbereite,
sagte Barnier nach einem Gespräch mit Luxemburgs Regierungschef
Xavier Bettel: «Wir bereiten mit jeder Hauptstadt die
Notfallmaßnahmen vor. Und wir arbeiten mit allen Hauptstädten an
allen Hypothesen. Das ist alles, was ich dazu sagen kann.»

Großbritannien will die EU am 29. März verlassen. Der Vertrag über
die Modalitäten des Austritts, den May mit der EU ausgehandelt hatte,
fiel Mitte Januar im Londoner Parlament durch. Auf Widerstand stößt
vor allem eine Regelung in dem Abkommen, wonach Großbritannien und
damit auch Nordirland Teil einer Zollunion mit der EU bleiben, sofern
sich die EU und Großbritannien nach dem EU-Austritt nicht auf eine
neue Form der künftigen Zusammenarbeit einigen.

Kurz vor einem in Brüssel geplanten Treffen mit dem britischen
Brexit-Minister Stephen Barclay bekräftigte Barnier, die EU werde den
mit May ausgehandelten Austrittsvertrag «nicht wieder öffnen und
keine Neuverhandlungen beginnen». Allerdings seien «ehrgeizigere»
Formulierungen in einer politischen Erklärung über die künftigen
Beziehungen möglich. Die EU wolle alles tun, um eine harte Grenze auf
der irischen Insel zu vermeiden: «Aber wir müssen den Binnenmarkt
schützen.»

Barnier sagte, der sogenannte Backstop - also die Garantie für eine
offene Grenze zwischen Irland und Nordirland - sei nötig, um den
Austritt regeln und «eine ehrgeizige und dauerhafte Beziehung in der
Zukunft» organisieren zu können. «Großbritannien bleibt ein
Partnerland, ein Freund und ein Verbündeter». Diese Beziehung müsse
über den Brexit hinaus «so rasch wie möglich gestärkt werden». Es

gebe «keinen Dogmatismus in unserer Position», betonte Barnier. «Wir

verhandeln ohne Gefühl der Aggressivität, Revanche oder Bestrafung.»


May wird schon am Dienstag eine Erklärung im Parlament über den Stand
der Brexit-Verhandlungen abgeben, wie ein Regierungssprecher der
Deutschen Presse-Agentur in London bestätigte. Luxemburgs
Regierungschef Bettel sagte, die EU habe den Brexit niemals gewollt:
«Man darf heute nicht sagen, dass die Verantwortung bei der EU liegt.
Die Verantwortung liegt nach wie vor in London.»