Brexit: Was geht noch? Von Verena Schmitt-Roschmann, Christoph Meyer und Silvia Kusidlo, dpa

13.03.2019 21:31

Theresa May hat keine Mehrheit für ihre Brexit-Politik - nicht für
den mit der EU ausgehandelten Deal, aber auch nicht für ihr
Taktieren. Das Unterhaus setzt ein Signal. Aber was soll es bedeuten?

London/Brüssel (dpa) - Das britische Parlament will das Abkommen zum
Brexit mit der Europäischen Union nicht - aber eine Mehrheit will
auch nicht ohne Vertrag aus der EU ausscheiden. So viel ist seit
Mittwochabend klar. In einem Überraschungscoup stimmten die
Abgeordneten sogar mit knapper Mehrheit dafür, das gefürchtete
No-Deal-Szenario ohne weitere Bedingungen und auch für die Zukunft
auszuschließen.

Ein denkwürdiges Votum, widerspricht es doch der erklärten Linie von
Premierministerin Theresa May, die sich diese Option als Druckmittel
weiter in der Hinterhand halten wollte. Und doch bleibt die zentrale
Frage unbeantwortet: Was nun, Britannia?

Denn eine einfache Meinungsäußerung des Unterhauses gegen das
Ausscheiden ohne Vertrag stoppt diesen noch nicht - darauf wies eine
Sprecherin von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Abend noch
einmal hin. EU-Unterhändler Michel Barnier hatte kurz vorher sogar
orakelt: «Das Risiko eines «No Deal» ist so hoch wie nie zuvor.»
Nötig sei eine konsensfähige Alternative, sonst sei ein ungeregelter
Brexit quasi unausweichlich.

Doch genau diese konstruktive Lösung fehlt bisher. Deshalb dürften
die Abgeordneten im nächsten Schritt am Donnerstag zunächst über eine

mögliche Verschiebung des Brexit-Termins entscheiden. Das wäre ein
Zeitgewinn - aber immer noch kein Ausweg aus der Krise. Ein Überblick
über mögliche Szenarien:

VERSCHIEBUNG DES BREXITS

Die Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist über Ende März
hinaus ist nach Artikel 50 des EU-Vertrags durchaus möglich und
politisch letztlich auch wahrscheinlich. Allerdings müssten die 27
bleibenden EU-Staaten einen britischen Antrag einstimmig billigen.
Und die wollen ein solches Anliegen nach eigenem Bekunden nicht
einfach durchwinken.

«Die EU27 wird eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche
Verlängerung und ihre Dauer erwarten», ließ EU-Ratspräsident Donald

Tusk erklären. In dieselbe Richtung lief nach Angaben von Diplomaten
auch eine Debatte der EU-Botschafter am Mittwoch. Vorstellbar seien
nur drei Gründe, sagte ein Diplomat der Deutschen Presse-Agentur:
Zeit für die Ratifizierung des bisher abgelehnten Austrittsvertrags
in Großbritannien; für die Vorbereitung auf einen No Deal; oder für
ein Referendum oder eine Neuwahl auf der Insel.

Eine Hürde ist der Termin für die Europawahl vom 23. bis 26. Mai: Als
EU-Mitglied müsste Großbritannien am 2. Juli neu gewählte Abgeordnete

zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments schicken. Erwogen
werden deshalb nach Angaben von Diplomaten zwei Varianten: eine kurze
Verlängerung um wenige Wochen - in der Hoffnung auf eine Wende oder
Lösung in London. Oder eine längere Verschiebung als eine Art
Denkpause. May hat sich schon entschieden: Sie will nur eine kurze
Verschiebung bis zum 30. Juni.

May bekannte selbst, dass eine Verschiebung «ohne Plan» die Probleme
kaum mindern würde. Niemand kennt eine Alternative zu dem abgelehnten
Abkommen, und in wenigen Wochen wäre auch kein neues auszuhandeln.
Wozu also soll die Verlängerung dienen, fragt auch die EU.
Entschieden werden könnte beim EU-Gipfel Ende nächster Woche.

ABSAGE DES BREXITS

Der Europäische Gerichtshof hat den Weg aufgezeigt: Die britische
Regierung könnte ihren 2017 gestellten Austrittsantrag
einseitig zurückziehen. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich. Nötig
wäre wohl ein zweites Referendum, um so eine Kehrtwende zu
legitimieren. May ist strikt dagegen und warnt vor
einem Vertrauensverlust in die Demokratie, nachdem die Briten 2016
mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt hatten.

Die Labour-Opposition ist für eine neue Volksabstimmung, doch hat die
Idee keine Mehrheit im Unterhaus. Einige in der EU sehen das trotzdem
als Option. Am Mittwoch sprachen sich nicht nur CSU-Vize Weber,
sondern auch Europapolitiker von SPD und Grünen dafür aus, das
britische Volk noch einmal zu fragen. EU-Kommissionschef Juncker
sieht eine gestiegene Wahrscheinlichkeit, dass der Brexit ausfällt.

BREXIT OHNE VERTRAG

Sowohl May als auch die EU stemmen sich wegen des befürchteten Chaos
für Wirtschaft und Bürger gegen dieses Szenario. Doch May sieht die
Lage erstaunlich ähnlich wie ihr EU-Verhandlungspartner Barnier: «Der
vorgesehene rechtliche Weg bleibt, dass Großbritannien die EU ohne
Deal verlässt, es sei denn, etwas anderes ist vereinbart.» Wenn
Großbritannien und die EU nicht aktiv die Bremse ziehen, endet die
britische EU-Mitgliedschaft automatisch am 29. März um 24.00 Uhr
Brüsseler Zeit. Auch im britischen EU-Austrittsgesetz ist dieses
Datum als Brexit-Termin festgeschrieben und müsste gestrichen werden.
Die Zeit dafür zerrinnt. Am Mittwoch waren es nur noch 16 Tage.