Brexit ohne Deal abgelehnt - May will dritte Abstimmung über Abkommen Von Christoph Meyer, Silvia Kusidlo und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

13.03.2019 22:51

Das britische Parlament lehnt einen Brexit ohne Vertrag deutlich ab.
Nun sollen die Abgeordneten über eine Verschiebung des EU-Austritts
entscheiden. Premierministerin May gibt ihren Deal noch nicht auf.

London (dpa) - Nur etwa zwei Wochen vor dem geplanten Brexit hat das
britische Parlament gegen einen EU-Austritt ohne Abkommen gestimmt.
Die Abgeordneten verabschiedeten am Mittwoch mit 321 zu 278 Stimmen
gegen den Willen der Regierung einen Beschluss, der einen
ungeordneten Brexit in jedem Fall ablehnt. Die Entscheidung ist
rechtlich allerdings nicht bindend.

Premierministerin Theresa May bestätigte daraufhin, dass die
Abgeordneten nun an diesem Donnerstag über eine Verschiebung des
Brexits abstimmen sollen. Die Parlamentarier müssten sich allerdings
zwischen einer kurzen und einer langen Verschiebung des eigentlich
für den 29. März geplanten Austritts entscheiden.

May verknüpfte die Abstimmung über die Verschiebung indirekt mit
einer Entscheidung über ihr Brexit-Abkommen. Nur wenn die
Abgeordneten bis zum 20. März für ihren mit Brüssel vereinbarten Deal

stimmten, sei eine kurze Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni
möglich. Das geht aus der Beschlussvorlage der Regierung für die
Abstimmung am Donnerstag hervor. Zweimal haben die Parlamentarier
Mays Deal bereits abgeschmettert.

Sollten die Abgeordneten den mit Brüssel ausgehandelten Deal ein
drittes Mal ablehnen, sei es «hochwahrscheinlich», dass die 27
verbliebenen EU-Mitgliedstaaten bei ihrem Gipfel am 21. März einen
«klaren Grund» für eine Verlängerung verlangten, heißt es in der

Beschlussvorlage für Donnerstag. Jede Verschiebung über den 30. Juni
hinaus mache jedoch eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl
erforderlich, die vom 23. bis zum 26. Mai geplant ist.

Voraussetzung für eine Verschiebung des Brexits ist, dass alle 27
übrigen Mitgliedstaaten dem zustimmen. Großbritannien will die
Europäische Union eigentlich am 29. März verlassen.

Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, sagte nach
der Abstimmung: «Das Parlament muss nun die Kontrolle übernehmen.» Er

werde Gespräche mit Abgeordneten anderer Parteien führen, um einen
mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden, so Corbyn.

Die EU-Kommission reagierte zurückhaltend auf das Votum. «Um einen
No-Deal vom Tisch zu nehmen, reicht es nicht, gegen einen No-Deal zu
stimmen - man muss einem Deal zustimmen», erklärte eine
Kommissionssprecherin. «Wir haben einen Vertrag mit der
Premierministerin vereinbart und die EU ist bereit, ihn zu
unterzeichnen.»

Eine Trennung von der Europäischen Union ohne Abkommen hätte
chaotische Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche.
Noch kurz vor der Abstimmung am Mittwoch warnte Schatzkanzler Philip
Hammond die Parlamentarier, Großbritannien sei im Fall eines No Deals
«erheblichen Verwerfungen» ausgesetzt.

In der Beschlussvorlage der Regierung sollte der Brexit ohne Vertrag
nur für den 29. März abgelehnt werden. Für die Zeit danach sollte er

auf dem Tisch bleiben. Eine Mehrheit der Abgeordneten wollte sich
damit jedoch nicht zufrieden geben.

Das Parlament in London ist in Sachen Brexit heillos zerstritten.
Mays Pläne zum EU-Austritt hatten zu zahlreichen Rücktritten von
Ministern geführt. Darunter waren auch die Brexit-Minister David
Davis und Dominic Raab sowie Außenminister Boris Johnson.

Heftig gestritten wurde vor allem um den sogenannten Backstop. Das
ist eine in dem Austrittsabkommen festgeschriebene Garantie für eine
offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen
Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien in einer
Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist.

Brexit-Hardliner fürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die EU
fesseln und eine eigenständige Handelspolitik unterbinden. Sie hatten
daher eine zeitliche Befristung oder ein einseitiges Kündigungsrecht
für den Backstop gefordert.

May führt seit einer verpatzten Neuwahl im Sommer 2017 eine
Minderheitsregierung an, die die Unterstützung der nordirischen
Partei DUP benötigt. Die Regierungschefin ist auf jede Stimme im
Parlament angewiesen.

Nicht nur Mays Konservative Partei ist im Brexit-Kurs uneins, sondern
auch die größte Oppositionspartei Labour. Insgesamt ein knappes
Dutzend unzufriedener Abgeordneter aus beiden Parteien hat kürzlich
eine eigene «Unabhängige Gruppe» gegründet und weitere Parlamentari
er
ermuntert, sich ihnen anzuschließen.

Mitten im Brexit-Streit sieht sich die Regierung auch noch mit einem
schwächeren Wachstumsausblick konfrontiert. Schatzkanzler Hammond
sagte im Unterhaus, in diesem Jahr sei mit einem Wirtschaftswachstum
von 1,2 Prozent zu rechnen. Bisher hatte die Prognose 1,6 Prozent
betragen. Für 2020 wurde die Erwartung bei 1,4 Prozent belassen.

Die Briten hatten bei einem Referendum im Jahr 2016 mit knapper
Mehrheit für den Austritt aus der Staatengemeinschaft votiert.