«Nützliche Idioten»? Orban rudert zurück - zumindest ein wenig Von Michel Winde, dpa

14.03.2019 17:36

Zwei Schritte vor, einen zurück - diese Taktik verfolgt Viktor Orban
seit Jahren. Kommende Woche stimmt die Europäische Volkspartei über
den Ausschluss der rechtsnationalen Fidesz-Partei ab. Verfängt Orbans
Taktik noch?

Budapest/Brüssel (dpa) - Der Druck auf Ungarns Ministerpräsidenten
Viktor Orban war zuletzt immer größer geworden. Erstmals ist der
Ausschluss seiner rechtsnationalen Fidesz-Partei aus der Europäischen
Volkspartei eine realistische Option. Erst goss Orban Öl ins Feuer -
am Donnerstag ruderte er dann zurück. Zumindest ein bisschen.

In einem Schreiben an Mitglieder des Parteienverbunds, zu dem auch
CDU und CSU gehören, bittet Orban um Entschuldigung dafür, dass er
sie als «nützliche Idioten» bezeichnet hatte. «Hiermit möchte ich

meine Entschuldigung ausdrücken, falls Sie sich durch mein Zitat
persönlich angegriffen fühlten», heißt es in dem Brief, der der
Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zugleich macht Orban klar, dass er
an seiner Politik nichts ändern werde. Kritiker werfen ihm seit
Jahren vor, in Ungarn Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen.

Zuletzt hatte Orban mit einer Anti-Brüssel-Kampagne für massiven
Unmut gesorgt. Auf Plakaten, die er in Ungarn hatte aufhängen lassen,
waren der von der EVP gestellte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker sowie der liberale US-Milliardär ungarischer Herkunft George
Soros in unvorteilhafter Pose zu sehen. Beide wurden zudem mit
falschen Behauptungen zur EU-Einwanderungspolitik verunglimpft.

Gut ein Dutzend EVP-Parteien forderten daraufhin, den
rechtsnationalen Fidesz auszuschließen oder zumindest zeitweise zu
suspendieren. Und Orban? Der verhöhnte seine Kritiker in einem
Interview der «Welt am Sonntag» als «nützliche Idioten», die das

Geschäft der Linken und Liberalen betrieben. Am kommenden Mittwoch
soll der EVP-Vorstand über den weiteren Umgang mit der Fidesz-Partei
entscheiden. Am Ende könnte ein Ausschluss stehen.

Der dpa liegen die Briefe Orbans, der zugleich Fidesz-Chef ist, an
den Vorsitzenden der flämischen CD&V sowie an das EVP-Mitglied aus
Luxemburg CSV vor. Es sei kein Geheimnis, dass es bei den Themen
Migration, dem Schutz der christlichen Kultur und der Zukunft Europas
ernsthafte Meinungsunterschiede zwischen Fidesz und den adressierten
Parteien gebe, schreibt Orban. «Es ist ebenso kein Geheimnis, dass
wir unsere Position bei diesen Themen nicht ändern wollen.» Fidesz
aus der EVP auszuschließen, sei jedoch keine vernünftige Lösung,
heißt es weiter. «Deshalb möchte ich Sie respektvoll darum bitten,
ihren Ausschlussantrag nochmal zu überdenken, wenn möglich.»

Kann Orban den Fidesz-Rauswurf damit abwenden? Juncker jedenfalls
bleibt dabei, dass Orban in der EVP nichts mehr zu suchen hat, wie er
am Donnerstag über seinen Sprecher mitteilte.

Manfred Weber (CSU), der als EVP-Spitzenkandidat in den Wahlkampf für
die Europawahl im Mai geht, bezeichnete Orbans Entschuldigung am
Donnerstag als «erstes Signal», forderte aber weitere Schritte.

CSU-Chef Markus Söder äußerte sich ähnlich: «Sich für Formulier
ungen
zu entschuldigen, ist ein wichtiges Signal.» Aber die EVP sei eine
Wertefamilie. «Und Werte sind nicht verhandelbar.» Orban müsse
langfristig entscheiden, wohin ihn sein Weg führe. «Es macht keinen
Sinn, dass wir jede Woche neue Debatten darüber führen.» Auch bei den

anderen EVP-Partnern müsse wieder dauerhaft neues Vertrauen wachsen.
Die Bundes-CDU wollte sich zum Orban-Schreiben zunächst nicht äußern.


Vertrauen ist der springende Punkt - und die hämischen Plakate sind
nur die Spitze eines massiven Eisbergs, der auf zerbrochenem
Vertrauen steht. Ein erfahrener europäischer Diplomat sagte am
Donnerstag in Budapest, er habe es in seiner jahrzehntelangen
Laufbahn noch nie erlebt, dass ein EU-Staat unumstrittene
EU-Entscheidungen blockiert, wie es Ungarn immer wieder tut. Zuletzt,
als es gegen ein gemeinsames Papier der EU und der Arabischen Liga
seinen Einspruch einlegte, weil sich darin eine Formulierung befand,
die vage auf den von Ungarn abgelehnten UN-Migrationspakt anspielte.

Aber auch die Blockadehaltung Ungarns in der Nato gegenüber der von
einer russischen Aggression bedrängten Ukraine falle in diese
Kategorie des Noch-Nie-Dagewesenen, so der Diplomat. Zum Konflikt mit
der EVP sagte er: «Man hat den Ungarn viele Brücken gebaut, aber
bisher ist keiner von ihnen drübergegangen.»

Weber, der sich selbst gerne als «Brückenbauer» sieht und Juncker im

Herbst als Kommissionschef folgen will, hatte die EVP-Mitgliedschaft
des Fidesz zuletzt an drei Bedingungen geknüpft: Orban solle die
jüngste Kampagne gegen Juncker stoppen, er müsse sich bei den anderen
EVP-Parteien entschuldigen, und die Zentraleuropäische Universität
(CEU) müsse dauerhaft in Budapest bleiben. Zudem müsse die Hochschule
wieder US-Diplome ausgeben können. Am Dienstag war Weber selbst zum
Gespräch mit Orban nach Budapest gereist - ohne anschließend eine
Lösung zu präsentieren.

Die Entschuldigung liegt nun also vor. Die Plakate sollten ohnehin
Mitte März abgehängt werden und verschwinden bereits nach und nach
aus dem Stadtbild. Und für die CEU hatte Weber selbst eine Lösung
vorgeschlagen: ein Teil-Finanzierung durch bayerische Stellen sollte
ihren Fortbestand retten.

Für manche Orban-Kritiker in der EVP ist das einseitge Schreiben
jedoch zu wenig. Der Vorsitzende der flämischen CD&V, Wouter Beke,
akzeptierte nach Angaben aus Fraktionskreisen zwar den Brief. Das
Schreiben ändere mit Blick auf Fidesz nichts an seiner Haltung. Der
Vorsitzende der finnischen Nationalen Sammlungspartei schrieb auf
Twitter, seine Partei werden ihren Antrag auf Ausschluss nicht
zurückziehen. Und auch der Luxemburger Parteichef Frank Engel
kritisierte, dass Orban sich nicht für seine Politik entschuldigt.
«Deshalb ist diese Entschuldigung nichts wert.»