Streit über Länge der Brexit-Verschiebung - zweites Referendum?

15.03.2019 17:55

Der EU-Austritt soll verschoben werden - aber für wie lange? Darüber
gehen die Meinungen stark auseinander. Die Forderungen nach einem
zweiten Brexit-Referendum werden in London und Brüssel wieder lauter.

London/Brüssel (dpa) - Nach dem Votum des britischen Parlaments für
eine Verschiebung des EU-Austritts will Premierministerin Theresa May
nun ihr mit Brüssel geschlossenes Brexit-Abkommen im dritten Anlauf
durchboxen. Bis zum kommenden Mittwoch, einen Tag vor dem EU-Gipfel
in Brüssel, sollen die Abgeordneten in London erneut über den Deal
abstimmen. Das Datum sei noch nicht festgelegt, sagte eine
Regierungssprecherin am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Der
Dienstag gilt als wahrscheinlich.

Auf EU-Seite zeichnet sich noch keine klare Linie ab, wie lang der
ursprünglich für den 29. März geplante Brexit verschoben werden
könnte. Zuvor müsse London klar sagen, was es wolle, hieß es unisono.


«Eine Verlängerung des Austrittsdatums für Großbritannien kann nur

bis zum Beginn der Europawahlen am 23. Mai gewährt werden», erklärte

der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen am Freitag. Er widersprach damit
Mays Vorschlag, die Frist bis Ende Juni zu verlängern. Bei einem
erneuten Scheitern ihres Vertrags müssten May und das Parlament ihre
roten Linien ändern. Nur dann habe eine Verlängerung überhaupt Sinn.


Nach Meinung des CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok wäre eine
Verlängerung von zwei oder drei Monaten in Ordnung. «Dann muss die
Veranstaltung beendet sein, auf welche Weise auch immer», sagte er
dem Südwestrundfunk. Die Briten müssten aber sagen, für welchen Zweck

sie die Verschiebung des Austrittstermins wollten.

Ähnlich argumentierte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl,
Bundesjustizministerin Katarina Barley: «Ich glaube, dass die EU sehr
wohl bereit wäre, mehr Zeit einzuräumen, aber man muss irgendeinen
Plan haben, was in dieser Zeit passieren soll.» Im rbb-Inforadio
fügte sie hinzu: «Immer nur mehr Zeit einzuräumen bringt ja keine
Lösung.»

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert
Röttgen (CDU), sprach sich dafür aus, den EU-Austritt notfalls bis
zum Jahresende aufzuschieben. «Für die Briten sollte es eine
einmalige großzügige Verlängerung für den Brexit geben», sagte
Röttgen der «Rheinischen Post» (Freitag).

Eine so lange Verschiebung würde allerdings bedeuten, dass sich die
Briten an der Europawahl Ende Mai beteiligen müssten. Die
CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sagte dazu RTL, nach ihrer
Ansicht wäre es den Bürgern schwer zu vermitteln, «wenn ein Land mit

an Wahlen teilnimmt, wenn es ein Parlament mitbestimmt, wenn es
möglicherweise eine EU-Kommission mitbestimmt, um dann kurz darauf zu
erklären, dass es die Europäische Union verlassen wird».

Die Entscheidung über den Aufschub soll beim EU-Gipfel am kommenden
Donnerstag fallen. Vor einer Festlegung wollen die 27 EU-Staaten
zunächst abwarten, ob May doch noch eine Mehrheit für den mit der EU
ausgehandelten Austrittsvertrag zusammenbekommt.

Frankreich fordert einen klaren Vorschlag Londons bis zum EU-Gipfel.
Ohne Klarheit gebe es keine Lösung, berichtete die Nachrichtenagentur
AFP unter Berufung auf das Amt von Präsident Emmanuel Macron.

Die britischen Abgeordneten hatten am Donnerstag mit überwältigender
Mehrheit in London ein zweites Brexit-Referendum abgelehnt. Dies ist
- wie die anderen Abstimmungsergebnisse - rechtlich aber nicht
bindend.

Damit seien die Hoffnungen auf eine weitere Volksabstimmung nicht
begraben, sagte die Anti-Brexit-Aktivistin Gina Miller am Freitag dem
Sender BBC. Das Thema gewinne Bedeutung, wenn Mays Vereinbarung bei
der dritten Abstimmung wieder durchfallen sollte. Miller hatte mit
einer Klage beim obersten Gericht in Großbritannien Anfang 2017
erreicht, dass das Parlament beim Brexit stärker einbezogen wird. Der
exzentrische Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg hatte hingegen nach der
Abstimmung gesagt, ein zweites Referendum sei nun vom Tisch.

Auch die Grünen im EU-Parlament warben für ein zweites Referendum,
was eine lange Brexit-Verschiebung nötig machen würde. Sie verlangten
eine Kursänderung in London als Bedingung für den Aufschub. «Die Zeit

ist reif, statt einer dritten Abstimmung über das Austrittsabkommen
die Briten zu fragen, ob sie den Deal wollen oder ihren Platz in der
Europäischen Union sehen», erklärte die Abgeordnete Terry Reintke.
Fraktionschefin Ska Keller forderte: «Wenn sich die Briten in einem
zweiten Referendum entscheiden zu bleiben, müssen die anderen 27
EU-Mitgliedsstaaten sie mit offenen Armen empfangen.»

May hofft für die dritte Abstimmung auf ein Einknicken der
Brexit-Hardliner in ihrer Konservativen Partei und bei der
nordirisch-protestantischen DUP, auf die ihre Minderheitsregierung
angewiesen ist. Sie wird aber wohl auch Unterstützung aus der
Opposition brauchen.

Die Mehrheit der Deutschen glaubt auch nach dem Parlamentsvotum für
eine Verschiebung des EU-Austritts dem ZDF-«Politbarometer» zufolge
nicht an einen geordneten Brexit. Fast drei Viertel (72 Prozent) der
Befragten erwarten, dass es auch bei weiteren Verhandlungen der EU
mit Großbritannien zu einem EU-Austritt des Landes ohne Vertrag
kommen werde, wie die am Freitag veröffentlichte Umfrage der
Forschungsgruppe Wahlen ergab. Nur jeder fünfte Deutsche (21 Prozent)
zeigte sich bei dieser Frage zuversichtlich.