Ja, aber... - Neues Urheberrecht kommt mit deutscher Zustimmung Von Michel Winde, dpa

15.04.2019 14:43

Berlin hat für die heftig umstrittene Copyright-Reform gestimmt und
damit den Weg für dessen Umsetzung geebnet. Vollends überzeugt ist
die Bundesregierung allerdings nicht.

Luxemburg (dpa) - Am Ende hat die Bundesregierung der Reform des
EU-Urheberrechts zugestimmt - allem Widerstand zum Trotz. Sofort nach
der Abstimmung der EU-Staaten kam jedoch das große Aber. In einer
vierseitigen Zusatzerklärung führte die stellvertretende
EU-Botschafterin Susanne Szech-Koundouros am Montag aus, wie die
Reform umgesetzt werden solle: ohne Uploadfilter und mit diversen
Ausnahmen. Es klingt nach einer Korrektur bei zeitgleicher
Zustimmung. Bedingungslose Überzeugung zumindest sieht anders aus.

Zuerst einmal jedoch die deutsche Positivbotschaft: Die Reform sei
dringend notwendig, der aktuelle Rechtsrahmen nicht mehr zeitgemäß,
heißt es im ersten der zwölf Absätze. Es folgt das Aber. Ein Aber,

das sich aus wochenlangem Protest speist. Kritiker fürchten, dass
Plattformen wie YouTube, aber auch kleinere Anbieter, künftig
Uploadfilter einsetzen müssen, weil sie mehr Pflichten beim
Urheberschutz haben. Dabei handelt es sich um Programme, die
geschützte Inhalte schon beim Hochladen erkennen und aussortieren.
Letzlich könne deutlich mehr als nötig blockiert werden, es drohe
Zensur.

Zehntausende hatten deshalb in Deutschland gegen das Vorhaben
demonstriert. Die Große Koalition geriet unter Druck. In dem Papier,
an dem bis Sonntagabend gearbeitet wurde, heißt es nun: Man bedauere,
dass es nicht gelungen sei, ein Konzept zu finden, «das in der Breite
alle Seiten überzeugt».

Keine Sorge, ruft die Bundesregierung ihren Kritikern sogleich zu.
«Upload-Plattformen sollen auch künftig als freie, unzensierte
Kommunikationskanäle für die Zivilgesellschaft zur Verfügung stehen.
»
Ziel müsse sein, «das Instrument «Uploadfilter» weitgehend unnöti
g zu
machen». Falls doch technische Lösungen eingesetzt werden, solle
die EU die Entwicklung von frei zugänglichen Technologien mit offenen
Schnittstellen fördern. Dies würde Transparenz, Interoperabilität -
also die Fähigkeit unterschiedlicher Systeme, möglichst nahtlos
zusammenzuarbeiten - und Standardisierung fördern. Außerdem würde es

verhindern, dass mächtige Plattformen - Facebook und Google etwa -
ihre Filtertechnik verkaufen und ihre Macht so festigen.

Berlin betont zudem, dass die fragliche Regelung nur auf besagte
mächtige Plattformen wie YouTube oder Facebook zutreffe. Konkrete
Ausnahmen werden auch genannt: Wikipedia, Software-Plattformen wie
Github, Messengerdienste wie WhatsApp, Verkaufsportale oder
Cloud-Dienste.

So weit die Berliner Lesart der neuen Richtlinie. Dann stellt die
Regierung aber noch klar: Man gehe davon aus, dass eine EU-weit
einheitliche Umsetzung vereinbart werde.

Und falls all das nichts bringt? Falls die Meinungsfreiheit dennoch
durch die neuen Regeln eingeschränkt wird? Oder falls dieser
Sonderweg gegen EU-Recht verstößt? Dann solle die Reform korrigiert
werden, heißt es. Bis dahin wird es allerdings Jahre dauern. Zunächst
einmal haben die EU-Staaten nun zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in
nationales Recht umzusetzen.

Die Kritiker ließen sich von all dem ohnehin nicht besänftigen.
FDP-Chef Christian Lindner schrieb auf Twitter, die große Koalition
habe ihre letzte Chance, Uploadfilter zu verhindern, nicht genutzt.
Der Grünen-Spitzenkandidat für die Europawahl, Sven Giegold,
kritisierte die Zusatzerklärung als «fragwürdige Kosmetik». Und
Piraten-Politikerin Julia Reda, die eine der schärfsten Kritikerinnen
des Vorhabens im Europaparlament war, sagte: «Das neue Urheberrecht
macht alle zu Verlierern.» Zudem ignoriere die große Koalition ihren
Koalitionsvertrag. Darin wird der verpflichtende Einsatz von
Uploadfiltern als unverhältnismäßig abgelehnt.

Die Zustimmung der EU-Staaten am Montag war knapp - und vom deutschen
Ja abhängig. Denn die Niederlande, Luxemburg, Polen, Italien,
Finnland und Schweden stimmten gegen die Reform. Belgien, Slowenien,
und Estland enthielten sich beim Treffen der Landwirtschaftsminister,
die stellvertretend für ihre jeweiligen Regierungen abstimmten.
Ministerin Julia Klöckner (CDU) ließ sich zunächst von Botschafterin

Szech-Koundouros vertreten.

Die Copyright-Reform soll das veraltete Urheberrecht in der EU ans
digitale Zeitalter anpassen und Urhebern für ihre Inhalte im Netz
eine bessere Vergütung sichern. Mitte Februar hatten sich
Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten auf einen
Kompromiss geeinigt. Diesen hatte das Europaparlament Ende März
gebilligt. Die Länder zogen nun nach. Kulturstaatsministerin Monika
Grütters (CDU) sagte, die Reform sei «ein großer Fortschritt für de
n
digitalen Binnenmarkt und für eine lebendige Kultur- und
Kreativwirtschaft». Auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker
bezeichnete die Reform auf Twitter als fehlendes Puzzleteil des
digitalen Binnenmarkts.

Neben neuen Pflichten zum Urheberschutz sieht das Vorhaben auch ein
Leistungsschutzrecht für Presseverlage vor. Danach müssen
Nachrichten-Suchmaschinen wie Google News für das Anzeigen von
Artikel-Ausschnitten künftig Geld an die Verlage zahlen. Hier sehen
Kritiker insbesondere für kleine Verlage Nachteile, die gegenüber
Google eine schwache Verhandlungsposition hätten. Zudem verweisen sie
auf Deutschland, wo es ein Leistungsschutzrecht schon seit 2013 gibt,
das aber nicht zu nennenswerten Geldzahlungen an die Verlage führt.
Die großen deutschen Verlegerverbände begrüßten die Reform jedoch.