Die Europawahl im Visier? Wie Roboter im Internet Meinung machen Von Janne Kieselbach, dpa

17.04.2019 11:00

Facebook, Twitter, Instagram: Soziale Medien spielen im Wahlkampf vor
der Europawahl eine wichtige Rolle. Doch die Sorge vor gesteuerten
Hetzkampagnen ist in Brüssel groß, auch weil Software-Roboter
eingesetzt werden, um im Netz Stimmung zu machen.

Brüssel (dpa) - Die Frisur sitzt, aber der Schal bereitet Probleme.
Reza Kazemi zupft sich hektisch am roten Kaschmir, den er zu Hemd und
offenem Sakko trägt. Gleich soll sein Vortrag über politische
Kampagnen im Internet beginnen. Die Zuhörer in einem kleinen
Konferenzraum des Brüsseler Europaparlaments warten bereits.

Kazemi nennt sich «Spin-Doctor» - ein Politikberater, der Aufträge
von Parteien annimmt. Sein Job: Menschen zum richtigen Kreuzchen zu
bewegen. Und das, sagt er, gehe heute weniger über Werbespots,
Plakate und Prospekte als durch Relevanz in sozialen Medien.
Computer-gesteuerte Debatten können Wahlkämpfe ins Trudeln bringen;
die Abwehr digitaler Angriffe bereitet überall Kopfzerbrechen. Denn
ja, meint der Politik-Experte, im Internet herrsche ein Kampf um die
Meinungsmacht, oft mit unsauberen Mitteln.

Die Abgeordneten des EU-Parlaments, die heute Abend gekommen sind,
lauschen Kazemis Vortrag gespannt. Sie tagen zu einem Phänomen, das
kurz vor der Europawahl Ende Mai viele Politiker Brüssel
verunsichert. Bots und künstliche Intelligenz - von den Begriffen
haben sie alle schon gehört. Aber welche Bedeutung könnten sie für
den Wahlkampf zwischen Lissabon und Helsinki haben?

Kazemi erinnert an einen Tag im Sommer 2015, als Bundeskanzlerin
Angela Merkel ihren Account im sozialen Netzwerk Instagram eröffnete.
Es dauerte nur wenige Stunden, bis sich russische Internet-Trolle auf
ihrer Seite austobten. Fake-Nutzer schrieben unzählige Kommentare wie
«I love Putin» und «Putin is the best». Außerdem beleidigten sie

Merkel. Die Bundesregierung musste das Konto vorübergehend offline
nehmen. Mittlerweile sind die Hetzkampagnen in den Kommentarspalten
deutlich ausgefeilter - und sie können jeden treffen.

«Ein Troll ist ein Mensch hinter einer Software», erklärt Kazemi. Oft

stammten die Angriffe aus sogenannten Troll-Fabriken in Russland.
Rund um die Uhr arbeiteten hier Tausende Menschen und steuerten
unzählige Social-Media-Profile von Menschen, die gar nicht
existierten. Die sogenannten Social Bots agierten dann automatisiert.
«12 Menschen können so den Eindruck erwecken, als hätten 25 000
Menschen etwas geteilt», sagt Kazemi. Das wiederum führe zu großer
Aufmerksamkeit - letztlich auch in den etablierten Medien.

Auch Paul Lukowicz ist an diesem Abend ins Europaparlament gekommen.
Der 51-Jährige ist Leiter des Forschungsbereiches Eingebettete
Intelligenz am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche
Intelligenz. «Als ich ein junger Mann war, musste man, um nationale
Aufmerksamkeit zu bekommen, zu einer Zeitung gehen. Da war ein
Filter, der darüber bestimmt hat, wer Aufmerksamkeit bekommt»,
erinnert er sich. Heute sei das anders. Im Internet lasse sich mit
der richtigen Technik Relevanz für etwas generieren, das bislang
zurecht als völlig irrelevant gelte.

Allerdings, so Lukowicz, dürften Bots keineswegs nur verteufelt
werden. «Interessant ist doch, dass wir in unserer Meinungsbildung
entscheidend auf Bots angewiesen sind - nehmen Sie das Beispiel
Google.» Auch Suchmaschinen seien Bots, die sich durch das Netz
wühlten und auf Basis von Algorithmen nach Relevantem suchten. In
Zukunft, meint Lukowicz, würden wir noch viel stärker mit Bots
kommunizieren. «Es geht also nicht darum, das Phänomen zu verweigern,
sondern es so auszugestalten, dass es keinen Schaden verursacht.»

Genau über eine solche Gestaltung wird in Brüssel seit Monaten
diskutiert. Denn die Sorge vor manipulativen Kampagnen ist vor der
Europawahl besonders groß. Unter dem Schlagwort Desinformation machen
sich die EU-Institutionen darüber Gedanken, wie gegen die gezielte
Verbreitung falscher oder irreführender Informationen vorgegangen
werden könnte.

Bereits im Dezember stellte die EU-Kommission einen Aktionsplan gegen
Propaganda im Internet vor. Das Budget einer 2015 eingerichteten Task
Force gegen russische Einflussnahme wurde verdoppelt und ein
Schnellwarnsystem, über das EU-Staaten Manipulationsversuche melden
können, auf den Weg gebracht. Außerdem verpflichteten sich
Plattformen wie Facebook, Twitter und Youtube, Social Bots zu
kennzeichnen oder zu löschen. Wie viel dies nützen wird, ist unklar.
Manche EU-Staaten, insbesondere aus Osteuropa, wünschen sich bereits
eine deutlichere Antwort auf Hetzkampagnen und Fake News.

Berater Kazemi jedenfalls zeigt sich unbeeindruckt. Solange der
Meinungskampf in den Foren ungezügelt weitergeht, entwickelt er für
seine politischen Mandanten eigene Lösungen. «Wir bauen Bots, die
andere Bots zerstören», erklärt er und klingt ein bisschen stolz.
Seine Firma setze Fake-Profile ein, die darauf programmiert seien,
Facebook andere Bots zu melden. Dann erkenne das Netzwerk fremde Bots
wie auch eigene - und lösche am Ende alle.