Migration im Sudan: Ist die EU einen Pakt mit dem Teufel eingegangen? Von Gioia Forster, Martina Herzog und Michel Winde, dpa

19.04.2019 10:01

Nach dem Putsch im Sudan ist das Land im Umbruch. Ob Stabilität oder
Chaos folgt, ist noch unklar. Das macht sicher auch der EU Sorge -
denn die setzt seit Jahren auf Kooperation mit Khartum, um Migration
in Richtung Mittelmeer einzudämmen.

Khartum/Brüssel (dpa) - Europa. Das ist sein Ziel. Als Ali Ahmed
Jamal Jehad aus Äthiopien in den Sudan geschmuggelt wurde, damals,
vor mehr als zehn Jahren, wollte er eigentlich gleich weiterreisen.
Doch Schmuggler kassierten sein Geld und seien abgehauen, sagt der
36-Jährige. Den Traum hat er trotzdem nicht aufgegeben. Aber heute
sei es fast unmöglich, Libyen und dann die Ufer Europas zu erreichen.
Warum? «Wegen Angela Merkel.» Deutschland sei das beliebteste Land
unter Flüchtlingen, erklärt er. Es seien aber so viele Menschen auf
Booten im Mittelmeer gestorben, da habe die Bundeskanzlerin agieren
müssen, meint er. «Also wurde die Migration im Sudan gestoppt.»

Der Sudan ist im Umbruch. Nach 30 Jahren an der Macht wurde der
autoritäre Präsident Omar al-Baschir vergangene Woche vom Militär
gestürzt. Bislang war das Land wegen Al-Baschir ein Paria-Staat: Der
75-Jährige wird wegen schwerer Verbrechen im Darfur-Konflikt vom
Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht. Auch steht
Sudan auf der Liste von Ländern, denen die USA Unterstützung von
Terrorismus vorwerfen. Zugleich ist der Sudan eins der wichtigsten
Transitländer für Migranten, die Europa erreichen wollen - und so
hatte sich die EU auf eine ungemütliche Kooperation mit Khartum
eingelassen. Nun steht das Land am Scheideweg: Wird es zum stabilen
Partner der EU - oder entsteht dort die nächste Migrationskrise?

Der Sudan, in dem rund 1,1 Millionen Flüchtlinge leben, war schon
immer ein Knotenpunkt für Migration. Das Land liegt an der
Schnittstelle zwischen der arabischen und afrikanischen Welt.

Die EU startete 2014 mit mehreren afrikanischen Länder den
Khartum-Prozess. Sie formuliert das Ziel der Kooperation mit dem
Sudan und Nachbarländern etwas anders als der Äthiopier Jehad: Man
wolle vor allem den Menschenschmuggel bekämpfen und Migranten
schützen. Millionen von Euro sind bislang in den Sudan geflossen.
Allerdings versichert ein Sprecher der EU, man gebe «der Regierung
des Sudans keine finanzielle Unterstützung». Alle Gelder gingen
demnach an Organisationen oder Entwicklungsagenturen wie die deutsche
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Im Rahmen des Khartum-Prozesses führt die GIZ im Sudan und anderen
Ländern der Region das 46-Millionen-Euro-Projekt Better Migration
Management (BMM) aus. Unter anderem werden Grenzbeamte, Polizisten
und Justizbeamte trainiert. «Es geht uns nicht darum, Migration zu
verhindern», sagt BMM-Projektleiterin Sabine Wenz. «Wir wollen dafür

sorgen, dass die Migranten menschenwürdiger behandelt werden.»

Ging die EU im einen Pakt mit dem Teufel ein? Al-Baschir kam die Not
Europas, die Migration eindämmen zu wollen, wohl gelegen: Der Sudan
steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise. Doch das Land ist
isoliert und hat keinen Zugang zu internationalen Finanzmitteln wie
die des Internationalen Währungsfonds. Genau diese Wirtschaftskrise
ist Al-Baschir letztendlich zum Verhängnis geworden.

So hat Khartum den Druck der EU, sich um die Migration zu kümmern,
wohl als Chance gesehen, sich international zu bewähren - koste es,
was es wolle. Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) schreibt, die Regierung habe korrekterweise angenommen, dass
Europa ein großes Interesse daran habe, dass Flüchtlinge in ihrer
Heimatregion bleiben. Khartum entsandte seine berüchtigten Schnellen
Einsatztruppen (RSF), um die nördliche Grenze zu Libyen zu überwachen
und Migranten festzunehmen. Die RSF besteht zum Großteil aus der
Dschandschawid - einer arabischen Miliz, die während des
Darfur-Konflikts brutal gegen die Bevölkerung vorging. Chef Mohammed
Hamdan Daglu, genannt Hemeti, prahlte oft, er agiere quasi auf Wunsch
der EU. Diese «verliert Millionen im Kampf gegen Migration, deswegen
müssen sie uns unterstützen», sagte er etwa dem Sender Al-Dschasira.


Den RSF wird dabei nicht nur vorgeworfen, Migranten zu misshandeln.
Sie würden auch «die Migranten systematisch ausbeuten und von dem
Menschenschmuggel direkt profitieren», sagt Clotilde Warin von der
niederländischen Denkfabrik Clingendael. Mitglieder der RSF würden
etwa Migranten gegen Geld selbst zur libyschen Grenze fahren oder die
Menschen an der Grenze an libysche Schmuggler «verkaufen», so Warin.
Anzeichen dafür, dass sich die neue Militärführung im Sudan von der
RSF distanziert, gibt es nicht. Ganz im Gegenteil: Chef Hemeti ist
inzwischen die Nummer zwei im militärischen Übergangsrat.

Dass Migration wirklich gestoppt werden kann, bezweifeln allerdings
Experten. «Wenn man eine Route schließt, öffnet sich eine andere. Man

verschiebt die Routen lediglich», sagt Warin. Die Maßnahmen der
Regierung würden «niemals die Menschen aufhalten, die wirklich weg
wollen», sagt die Leiterin des UN-Flüchtlingshilfswerk im Sudan,
Noriko Yoshida. Sie würden es immer wieder probieren. «Letztendlich
werden die Menschen dadurch nur verletzlicher, es bringt sie in
gefährlichere Lagen.»