Europawahlkampf in der Schlussphase - Tschechen und Iren stimmen ab Von Irmgard Kern, dpa

24.05.2019 04:46

Sie geben noch einmal alles: Zum Endspurt des EU-Wahlkampfes trommeln
die Spitzenkandidaten in Deutschland und Europa für ihre Parteien.
Schon jetzt ist klar: Nach der Wahl wird der Poker um die Nachfolge
von EU-Kommissionspräsident Juncker hart.

Brüssel/Dublin/Prag (dpa) - Die großen Parteien in Deutschland
beenden am Freitag den Europawahlkampf. In mehreren Städten sind zum
Endspurt große Kundgebungen mit viel Parteiprominenz geplant. Dabei
werben die Spitzenkandidaten für ihre Parteien - und wollen die
Menschen zugleich dazu mobilisieren, am Sonntag zur Wahl zu gehen.
Iren und Tschechen können bereits am Freitag, dem zweiten Tag der
Europawahl, abstimmen. Ergebnisse soll es für beide Länder erst am
Sonntagabend nach Abschluss der Wahl in allen EU-Ländern geben.

Den Auftakt machten am Donnerstag Großbritannien und die Niederlande.
Dort wurde die Partei des Spitzenkandidaten der europäischen
Sozialdemokraten, Frans Timmermans, nach einer Prognose mit 18,4
Prozent der Stimmen überraschend stärkste Kraft, wie der staatliche
niederländische Sender NOS unter Berufung auf Daten des Instituts
Ipsos berichtete. Thierry Baudet, der neue Shootingstar der Rechten
in dem Land, und sein Forum für Demokratie (FvD), landeten demnach
nur auf Rang vier.

Nach der Wahl soll möglichst rasch über das künftige Spitzenpersonal

der EU entschieden werden. Wie Timmermans will auch der
Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der
Deutsche Manfred Weber (CSU), Nachfolger des scheidenden
EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker werden.

Insgesamt können in den 28 EU-Staaten bis zum Sonntag mehr als 400
Millionen Wahlberechtigte über die 751 Abgeordneten des neuen
Europaparlaments mitentscheiden. Amtliche Länder-Ergebnisse und eine
erste Hochrechnung des EU-Parlaments zum Wahlausgang in ganz Europa
werden erst am Sonntagabend kurz nach 23 Uhr erwartet - nach
Schließung der letzten Wahllokale in Italien.

In Irland können die rund 3,7 Millionen Wahlberechtigten am Freitag
bis 23.00 Uhr ihre Stimmen abgeben. Anschließend will die irische
Rundfunkanstalt RTÉ eine erste Prognose veröffentlichen.

In Tschechien, wo zwei Tage lang abgestimmt wird, sind die Wahllokale
am Freitag von 14.00 bis 22.00 Uhr geöffnet. Die rund 8,5 Millionen
Wahlberechtigten können ihre Stimmen dort auch noch am Samstag
zwischen 8.00 Uhr und 14.00 Uhr abgeben. Prognosen und Hochrechnungen
sind in Tschechien nicht geplant.

In mehreren deutschen Städten gibt es am Freitag große Kundgebungen.
In München wollen (16.30 Uhr) unter anderem EVP-Spitzenkandidat
Weber, Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer
und Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz reden. In Bremen, wo am
Sonntag auch die Bürgerschaft - also der Landtag des Stadtstaates -
gewählt wird, trommelt (15.30 Uhr) die SPD für sich. Erwartet werden
dort Spitzenkandidatin Katarina Barley, Parteichefin Andrea Nahles,
Vizekanzler Olaf Scholz und Bremens Regierungschef Carsten Sieling.

Die Linke plant ihren Wahlkampfendspurt am Freitag (16.00 Uhr) in
Berlin: Neben den Spitzenkandidaten Martin Schirdewan und Özlem
Demirel soll dort auch Parteichef Bernd Riexinger sprechen. Ebenfalls
in der Hauptstadt treten (16.30 Uhr) im Wahlkampfendspurt der Grünen
die Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold auf, zudem die
Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck.
FDP-Spitzenkandidatin Nicola Beer und -Parteichef Christian Lindner
kommen am Abend (19.00 Uhr) nach Frankfurt/Main, zeitgleich ist in
der Stadt ein Auftritt von AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen geplant.

Die europäischen Sozialdemokraten sprechen trotz der schlechten
Umfragewerte der deutschen SPD von guten Chancen, dass ihr
Spitzenkandidat Timmermans nach der Wahl EU-Kommissionspräsident
wird. «Im europäischen Gesamtkontext sieht es sehr gut für uns aus»
,
sagte der bisherige Fraktionschef im Europaparlament, Udo Bullmann,
der Deutschen Presse-Agentur. Die Lücke zum Lager der
Christdemokraten werde nach Umfragen immer kleiner.

Zudem gelte im EU-Parlament nicht das Prinzip, dass derjenige, der
eine Stimme Mehrheit habe, automatisch die Spitzenpositionen besetzen
könne. Stattdessen gehe es darum, Allianzen für seine Politik zu
finden, sagte Bullmann. «Ich bin mir sicher, dass wir eine Allianz
für den Kommissionspräsidenten Frans Timmermans finden werden.» In
Umfragen lag die deutsche SPD jüngst nur bei Werten um die 15
Prozent. Sie könnte damit im Vergleich zu ihrem Ergebnis im Jahr 2014
zwölf ihrer zuletzt 27 Sitze im EU-Parlament verlieren.

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok plädiert für rasche Absprachen
aller demokratischen Parteien nach der Wahl, um einen ihrer
Spitzenkandidaten als neuen EU-Kommissionschef durchzusetzen. Der
Spitzenposten dürfe nicht wie früher von den Staats- und
Regierungschefs ausgeklüngelt werden, sagte Brok der dpa. «Alles
andere wäre ein Rückschritt. Es geht nicht zurück ins Hinterzimmer.
»

Das Europaparlament will nur einen der Europawahl-Spitzenkandidaten
zum EU-Kommissionspräsidenten wählen. Doch das Vorschlagsrecht liegt
beim Rat der EU-Staats- und Regierungschefs, der die Ergebnisse der
Europawahl nur «berücksichtigen» muss. Letztlich braucht ein
erfolgreicher Kandidat Mehrheiten in beiden Institutionen.

Wegen des erwarteten Erfolgs rechtsnationalistischer und
populistischer EU-Kritiker kommen Mehrheiten im Europaparlament
künftig wohl nur mit breiten Bündnissen der übrigen Parteien
zustande. EVP, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne hätten auch
künftig zusammen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, betonte Brok. «Umso mehr
sollten sich alle Demokraten ihrer Verantwortung bewusst sein und bei
den Personalfragen zu Potte kommen», fügte der EU-Abgeordnete hinzu,
der infolge parteiinterner Querelen nach knapp 40 Jahren im Parlament
nicht mehr kandidiert.

Die deutschen Spitzenkandidaten für die Europawahl sind auch nach
wochenlangem Wahlkampf relativ unbekannt. In einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen
Presse-Agentur gaben 38 Prozent an, keinen einzigen der neun
Kandidaten zu kennen, die für die sieben im Bundestag vertretenen
Parteien antreten. Auf den höchsten Bekanntheitsgrad kommt noch
SPD-Spitzenkandidatin und Justizministerin Barley mit 49 Prozent.