Wird Weber was? Von Verena Schmitt-Roschmann, Marco Hadem und Christoph Trost, dpa

24.05.2019 04:50

CSU-Vize Manfred Weber hat monatelang für den Posten des
EU-Kommissionspräsidenten gekämpft. Aber hat der Spitzenkandidat der
Europäischen Volkspartei überhaupt eine Chance auf das mächtige Amt?


München/Brüssel (dpa) - Am Einsatz hat es sicher nicht gelegen.
Manfred Weber hat vor seinem großen Wahlkampffinale an diesem Freitag
in München Tausende Kilometer in Europa zurückgelegt, Hunderte
Menschen getroffen, in Dutzenden Interviews für sich geworben, und
das meist gut gelaunt und enthusiastisch für Europa. Aber hat es auch
was genützt für Webers großes Ziel, Präsident der EU-Kommission zu

werden? Nach Lage der Dinge muss man Zweifel haben.

Seine Europäische Volkspartei (EVP) dürfte zwar wie erwartet nach dem

Ende der Europawahl am Sonntag stärkste Fraktion im EU-Parlament
sein. Und in dem Fall will Weber als Spitzenkandidat Anspruch auf den
mächtigsten Brüsseler Posten erheben. Und trotzdem wird es extrem
schwierig für den 46-Jährigen werden, das mächtige Amt als erster
Deutscher seit mehr als 50 Jahren zu erobern. Warum? Willkommen auf
der rasenden Fahrt des Brüsseler Personalkarussells.

1. DAS WAHLERGEBNIS WIRD KOMPLIZIERT

Der erwartete Rechtsruck in Europa hat vor allem eine Folge: Die
ehemaligen Volksparteien in der Mitte schrumpfen - Christdemokraten
und Sozialdemokraten werden zusammen keine Mehrheit mehr im
Europaparlament haben. Mit erwarteten Verlusten und weniger als einem
Viertel der 751 Mandate dürfte Weber als «Wahlsieger» von vorneherein

etwas gerupft aussehen. Die Sozialdemokraten mit ihrem Kandidaten
Frans Timmermans hoffen, nur knapp hinter der EVP zu liegen und dann
ein «progressives Bündnis» gegen Weber zu zimmern. Weber bräuchte
aber nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Liberalen und
womöglich zusätzlich noch die Grünen für eine solide Mehrheit. Wenn

sich die Parteien überhaupt zusammenraufen, wird jede versuchen, ihre
eigenen Kandidaten unterzubringen. Schlecht für Weber.

2. MACRON SAGT NEIN

Vor allem die Liberalen werden sich zieren, denn sie wollen ein
Bündnis mit der Partei LREM des französischen Präsidenten Emmanuel
Macron. Und der akzeptiert nicht die Forderung der großen
Parlamentsfraktionen, dass nur einer ihrer Spitzenkandidaten nach der
Wahl EU-Kommissionschef werden soll. Macron will, dass die EU-Staats-
und Regierungschefs frei auswählen dürfen. EVP, Sozialdemokraten und
Grüne wähnen sich ihrerseits am längeren Hebel: Am Ende muss das
Europaparlament den Kommissionschef bestätigen. Es bahnt sich also
ein Machtkampf an, der leicht zur Blockade werden könnte. Eine
beliebte Theorie in Brüssel ist, dass dann ein Kompromisskandidat aus
der Kulisse tritt (oder gezogen wird). Schlecht für Weber.

3. DIE WIDERSACHER WARTEN

In dieser Kulisse drängelt es sich bereits - es sind viele Namen im
Umlauf. Eine Kostprobe: der französische Brexit-Unterhändler Michel
Barnier, der sich seit Wochen mit staatstragenden europapolitischen
Reden in Szene setzt. Die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe
Vestager, die zum liberalen Spitzenteam gehört. Der niederländische
Regierungschef Mark Rutte, der vorsorglich alle Ambitionen
abstreitet. Und die ebenso kategorisch abwehrende Bundeskanzlerin
Angela Merkel, die trotz aller Dementis in vielen Hinterköpfen spukt.
Diplomaten sagen zudem, es könne auch jemand werden, den niemand auf
der Rechnung habe. Dass so viele Konkurrenten gehypt werden - auch
das schlecht für Weber.

4. BLACKBOX PERSONALPAKET

Hinzu kommt, und Achtung, jetzt wird es wirklich diffizil: Der Posten
des Kommissionspräsidenten ist nur einer in einem vielschichtigen
Personalpaket. Gesucht werden auch Nachfolger für EU-Ratschef Donald
Tusk, für die Außenbeauftragte Federica Mogherini, für
Parlamentspräsident Antonio Tajani und für den Präsidenten der
Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Um die 28 Staaten
beieinander zu halten, müssen nicht nur Parteien, sondern auch
Regionen berücksichtigt werden. Es sollen so viele Frauen wie Männer
dabei sein. Das bedeutet: Würde Weber Kommissionschef, käme wohl kein
anderer nordeuropäischer Mann zum Zuge. Rutte etwa könnte nach dieser
Logik nicht Tusk-Nachfolger werden. Kandidaten aus dem Osten sind
rar. Gehandelt wird der Kroate Andrej Plenkovic als möglicher
Ratschef. Aber der gehört wie Weber zur EVP und ist eben auch ein
Mann. Das spräche vielleicht für Vestager als Kommissionschefin.
Schlecht für Weber.

5. ES MUSS SCHNELL GEHEN

Eine in Brüssel gern ventilierte Theorie ist, dass Weber nur eine
Chance hat, wenn er binnen Stunden nach der Wahl am Sonntag eine
Mehrheit hinter sich scharen kann - bevor am Dienstagabend die
EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel selbst über das
Personalpaket beraten. Zuvor suchen die Fraktionschefs im
Europaparlament am Dienstagvormittag eine gemeinsame Linie. Weber
selbst gibt sich stoisch. Am Mittwoch nach dem Gipfel gebe es ein
erstes Treffen der EVP-Abgeordneten, sagte er neulich, und davon sei
nur ein Ergebnis zu erwarten: Die EVP stehe zu Manfred Weber.