Die EU will «selbstbewusster und mächtiger» werden: Agenda bis 2024 Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

11.06.2019 15:04

Vor der Europawahl war viel die Rede von Aufbruch und Neustart der
Europäischen Union. Nun setzt sich die Gemeinschaft neue Ziele für
die kommenden fünf Jahre. Erfindet sich die EU neu?

Brüssel (dpa) - Sicherheit, Wachstum, Klimaschutz, mehr Einfluss in
der Welt: Nach der «Schicksalswahl» zum Europaparlament skizziert die
Europäische Union ihre Ziele für die nächsten fünf Jahre. Die EU
müsse «selbstbewusster und mächtiger werden», heißt es nach
Informationen der Deutschen Presse-Agentur im Entwurf der
Strategischen Agenda für die Zeit bis 2024. Große Kurswechsel oder
konkrete neue Initiativen sind aber nicht erkennbar. Kritiker zeigen
sich enttäuscht, unter anderem über die Passagen zum Klimaschutz.

Das fünfseitige Dokument soll beim EU-Gipfel kommende Woche von den
Staats- und Regierungschefs gebilligt werden. Am Dienstag berieten
erstmals Diplomaten der 28 EU-Staaten darüber - ohne dass es große
Einwände gab, wie es anschließend hieß. Tatsächlich wirkt das Papie
r
an vielen Stellen bewusst vage, damit alle EU-Mitglieder damit leben
können. Es schreibt im Wesentlichen die bisherige EU-Politik fort.

Doch lässt der Entwurf eine Hintertür: Die Agenda sei nur ein erster
Schritt, und der Rat der Staats- und Regierungschefs werde weitere
politische Linien und Prioritäten nach Bedarf bestimmen, heißt es am
Ende. Der Grund liegt auf der Hand: Noch immer ist unklar, wer die
EU-Institutionen demnächst führen wird. Das Europaparlament arbeitet
an eigenen Vorgaben für den nächsten Kommissionspräsidenten. Der
Entwurf des Gipfelpapiers ist also nur ein erster Anhaltspunkt.

Beim Thema «Aufbau einer klimafreundlicheren, grünen, fairen und
inklusiven Zukunft» wird trotz der Klimaproteste und der Debatten im
Europawahlkampf kein neues Ziel gesetzt. Der Entwurf verweist zwar
auf das Pariser Klimaabkommen von 2015. Aber: «Die EU kann nicht
alleine handeln: alle Länder sollten voranschreiten und mehr für den
Klimaschutz tun.»

Das ehrgeizige Ziel der «Klimaneutralität» wird genannt - das
bedeutet, dass aus der EU unterm Strich keine neuen Klimagase in die
Atmosphäre kommen. Es wird aber dafür kein Datum vorgegeben. Denn
während Frankreich und andere hier die Zielmarke 2050 wollen, sind
östliche EU-Staaten viel zurückhaltender.

Beim Schwerpunkt «Schutz für Bürger und Freiheiten» wird die wirksa
me
Kontrolle der Außengrenze und der Kampf gegen illegale Migration
unterstrichen, die bereits seit der Flüchtlingsbewegung 2015
EU-Prioritäten sind. Zum Dauerstreit über eine Asylreform heißt es
nur: «Wir sind entschlossen, einen Weg bei der internen Migrations-
und Asylpolitik zu finden.» Betont wird der Kampf gegen Cyberattacken
und Desinformation und der Schutz von Rechtsstaatlichkeit.

Zur «Stärkung unserer wirtschaftlichen Basis» verweist der Entwurf
auf den immer schnelleren digitalen Umbau der Wirtschaft, der immer
weitreichendere Folgen haben werde und an dem die EU teilhaben müsse.
Und: «Gebraucht wird eine ambitioniertere, umfassende und
koordinierte Industriepolitik.» Dieses Thema war zuletzt vor allem
Deutschland wichtig.

Beim Thema «Förderung von Europas Interessen und Werten in der Welt»

betont das Papier nochmals den Multilateralismus und die
regelbasierte Weltordnung. Dabei sieht sich die EU selbst in ihrer
Zusammenarbeit als Inspiration für andere. Gleichzeitig wird mehrfach
der Wunsch nach Stärke und Einfluss deutlich. Dafür müssten
EU-Positionen einheitlicher werden, und man müsse sie entschlossener
und mächtiger vertreten. Die Rede ist auch von einer robusten
Handelspolitik und mehr Eigenverantwortung bei Europas Verteidigung.

Die Umweltorganisation Greenpeace kritisierte, dass die EU die
Dringlichkeit des Klimaschutzes ignoriere. Die Strategische Agenda
sei nur eine Sammlung von Schlagwörtern, aber keine Antwort auf die
Klimakrise. «Diese Liste widersprüchlicher Vorschläge legt nahe, dass

die EU-Staatenlenker dem Wirtschaftswachstum weiter Vorrang geben,
wie sie es bisher getan haben, und damit soziale Ungleichheit fördern
und die Klima- und Umweltkrise weiter anheizen», monierte
Greenpeace-Europadirektor Jorgo Riss.