Nach Gewalt in Hongkong: Kontroverses Gesetz vertagt - Berlin besorgt

13.06.2019 10:11

Nach den Ausschreitungen in Hongkong ist das umstrittene Gesetz für
Auslieferungen an China nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Auch
die EU und Deutschland übermitteln Bedenken. Drohen neue Proteste?

Hongkong (dpa) - Nach den schwersten Zusammenstößen zwischen Polizei
und Demonstranten in Hongkong seit fünf Jahren ist die Beratung über
das kontroverse Gesetz für Auslieferungen an China weiter vertagt
worden. Der Legislativrat kam auch am Donnerstag nicht zusammen,
nachdem die Debatte am Vortag wegen der Proteste von Tausenden nicht
stattfinden konnte. Auch Deutschland und die Europäische Union
äußerten ihre Besorgnisse über die Auswirkungen des neuen Gesetzes.

Die Büros im Regierungskomplex und die nächstgelegene U-Bahnstation
Admiralty blieben am Donnerstag geschlossen. Das Areal und die
umliegenden Straßen waren am Vortag Schauplatz der Proteste, die in
Ausschreitungen mündeten. Die Zahl der Verletzten stieg auf 79.
Einige wurden schwer verletzt. Zahlreiche Demonstranten wurden
festgenommen. Die Polizei war mit Tränengas, Schlagstöcken,
Wasserwerfern und Pfefferspray vorgegangen.

Die Gegner des Gesetzes riefen zu weiteren Protesten auf, bis der
Entwurf zurückgezogen wird. Es würde Hongkongs Behörden erlauben, von

China verdächtigte Personen an die Volksrepublik auszuliefern.
Kritiker warnen, dass Chinas Justiz nicht unabhängig sei und der
Staatssicherheit sowie der kommunistischen Führung folge. Sie diene
als Werkzeug für politische Verfolgung. Inhaftierten drohten Folter
und Misshandlungen. Es gebe eine Verurteilungsrate von 99 Prozent.

Die Europäische Union rief beide Seiten zur Zurückhaltung auf.
«Gewalt und eskalierende Antworten müssen vermieden werden», sagte
ein Sprecher. Die EU teile «viele der Bedenken» gegenüber dem Gesetz.

«Es ist eine heikle Sache, die potenziell weitreichende Konsequenzen
für Hongkong und sein Volk, für die EU und seine Bürger wie auch fü
r
die Zuversicht von Geschäftsleuten in Hongkong hat.»

Eingehende Konsultationen, die alle einschließen, könnten helfen,
einen Weg zu finden, ergänzte der EU-Sprecher. Schon am 24. Mai hatte
die Leiterin des EU-Büros in Hongkong, Carmen Cano, Regierungschefin
Carrie Lam die EU-Bedenken übermittelt, denen sich auch Deutschland
angeschlossen hatte, wie es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß.

Trotz des massiven Widerstands unter den sieben Millionen Hongkongern
will Hongkongs Regierungschefin aber an dem Gesetz festhalten. Es
soll von der Peking-treuen Mehrheit im Legislativrat abgesegnet
werden. Ob die letzte Abstimmung wie bisher geplant am Donnerstag
nächster Woche in dritter Lesung stattfinden kann, muss sich zeigen.
Dafür müsste erst die verschobene zweite Lesung nachgeholt werden.

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an
China nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» als eigenes
Territorium autonom regiert. Die Einwohner der heutigen chinesischen
Sonderverwaltungsregion genießen das Recht auf freie Meinungsäußerung

sowie Presse- und Versammlungsfreiheit - anders als die Menschen in
der Volksrepublik.

Die Demonstrationen am Mittwoch erinnerten an die Demokratiebewegung
2014, die Teile der asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole
wochenlang lahmgelegt hatte. Als Reaktion hat die Führung in Peking
die Zügel enger gezogen. Seit damals hat Hongkong nicht mehr solche
Zusammenstöße gesehen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights
Watch warf der Polizei «exzessive Gewalt» vor.

Am Sonntag hatten sogar - nach unterschiedlichen Schätzungen -
zwischen Hunderttausenden und einer Million Menschen gegen das Gesetz
demonstriert. Die friedliche Kundgebung war nach Angaben von
Beobachtern die größte seit dem Protest vor drei Jahrzehnten gegen
die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking am 4.
Juni 1989. Im Anschluss war es aber auch zu Ausschreitungen gekommen.