Fraktionen im EU-Parlament suchen Schnittmengen - Neues Rechtsbündnis

13.06.2019 17:25

Im Brüsseler Postenpoker lotet das EU-Parlament inhaltliche
Gemeinsamkeiten aus. CSU-Vize Manfred Weber bleibt auf dem Weg zu
seinem Wunschjob jedoch nicht mehr allzu viel Zeit.

Brüssel (dpa) - Im Machtkampf um EU-Spitzenposten haben die
Verhandlungen zwischen den vier proeuropäischen Fraktionen im
Europaparlament begonnen. In fünf Arbeitsgruppen loten rund 40
Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP), der Sozialdemokraten,
der Liberalen und der Grünen seit Donnerstag inhaltliche
Gemeinsamkeiten auf mehreren Politikfeldern aus. Daraus könnte eine
Art Fahrplan entstehen, der der nächsten EU-Kommission mit auf
den Weg gegeben wird. Bis Montag wollen die Abgeordneten zu
Ergebnissen kommen, die die Fraktionschefs dann festzurren sollen.

Anschließend könnte sich das Parlament zudem mehrheitlich auf einen
Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten einigen.
Damit würden die Abgeordneten die Staats- und Regierungschefs unter
Druck setzen, die bis zum EU-Gipfel am 20. und 21. Juni ein
Personalpaket für diesen und andere Posten vorlegen wollen.
EVP-Kreise dämpften die Erwartungen allerdings. Zunächst einmal gehe
es um ein inhaltliches Mandat der EU-Kommission für die kommenden
fünf Jahre, hieß es. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen
haben das Vorschlagsrecht für den neuen Präsidenten der
EU-Kommission, das Parlament muss mehrheitlich zustimmen.

Als Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im Parlament erhebt
CSU-Vize Manfred Weber Anspruch auf die Juncker-Nachfolge. EVP und
Sozialdemokraten kommen jedoch erstmals nicht mehr auf eine
gemeinsame Mehrheit. Deshalb wollen sie mit Liberalen und Grünen eine
Art Koalitionsvereinbarung aushandeln. Sozialdemokraten und Liberale
haben allerdings eigene Bewerber für den Posten, an denen sie bislang
festhalten - die EU-Kommissare Frans Timmermans und Margrethe
Vestager. Im Europäischen Rat stellen sich vor allem der französische

Staatschef Emmanuel Macron und andere Liberale gegen Weber.

Die Arbeitsgruppen im Parlament verhandeln in den kommenden Tagen
über Umweltfragen, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Digitalisierung,
Rechtsstaatlichkeit und Europas Rolle in der Welt. «Solche
Verhandlungen sind für das Europäische Parlament ein Novum. Damit
zeigen wir als Abgeordnete auch gegenüber den Staats- und
Regierungschefs, dass wir nicht einfach einen Kommissionspräsidenten
oder -präsidentin abnicken werden», sagte Grünen-Verhandler Sven
Giegold der Deutschen Presse-Agentur.

Auf der Suche nach einer Lösung setzte EU-Ratschef Donald Tusk am
Donnerstag seine Gespräche fort und traf sich mit Weber, der
EVP-Fraktionschef ist. Am Mittwoch hatte Tusk bereits den bisherigen
Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Udo Bullmann, sowie
Vertreter der neuen liberalen Gruppe Renew Europe empfangen.

Tusk war von den Staats- und Regierungschefs Ende Mai damit
beauftragt worden, ein komplexes Personalpaket auf die Beine zu
stellen, das Herkunft, Geschlecht, Parteizugehörigkeit und Alter
berücksichtigt. Neben der Juncker-Nachfolge ist auch die für Tusk
selbst, für Parlamentspräsident Antonio Tajani, die Außenbeauftragte

Federica Mogherini sowie für den Präsidenten der Europäischen
Zentralbank, Mario Draghi, zu regeln. Sie alle scheiden im Herbst aus
dem Amt.

Zeitgleich zum Verhandlungsbeginn der vier Fraktionen gründete sich
die neue Rechtsfraktion Identität und Demokratie. Das Bündnis war auf
Betreiben des italienischen Lega-Chefs Matteo Salvini zustande
gekommen und umfasst neben der deutschen AfD etwa die Partei
Rassemblement National der Französin Marine Le Pen oder die
österreichische FPÖ. Man suche keine Freunde, sagte AfD-Chef Jörg
Meuthen. «Wir sind hierher gekommen, um Stachel im Fleisch der
Eurokraten zu sein.» Von Salvinis Ziel, stärkste Fraktion zu werden,
ist die Gruppe aber weit entfernt. Sie hat 73 Abgeordnete und liegt
damit hinter EVP, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen an fünfter
Stelle.

Bei der neuen liberalen Gruppe Renew Europe gab es am Donnerstag
bereits die erste Überraschung: Nathalie Loiseau von der
französischen Präsidenten-Partei La Republique En Marche will nun
doch nicht Fraktionschefin werden, wie Sprecher Antoine Guery
bestätigte. Priorität hätten andere Posten im Parlament. Eine Rolle
bei ihrer Entscheidung habe die Berichterstattung über ein
vertrauliches Hintergrundgespräch gespielt. Darin hatte sich Loiseau
laut belgischen und französischen Medien despektierlich über
Konkurrenten sowie über Weber geäußert.