TV-Duell um Tory-Spitze: Johnson wegen Botschafterrückritts in Kritik Von Christoph Meyer, dpa

10.07.2019 16:29

Beim einzigen TV-Duell mit seinem Konkurrenten im Rennen um das Amt
des britischen Premiers hat Johnson die Lacher auf seiner Seite. Doch
wenn es um die Details seiner Brexit-Pläne geht, bleibt er einsilbig.
Und dann ist da noch das Problem mit dem Botschafter in den USA.

Salford (dpa) - Boris Johnson gibt nicht viel auf Fakten, solange die
grobe Richtung aus seiner Sicht stimmt. Trotzdem ist er im Rennen um
die Nachfolge der britischen Premierministerin Theresa May der klare
Favorit. Niemand habe ihm zugetraut, die Brexit-Volksabstimmung 2017
mit seiner Kampagne für den EU-Austritt zu gewinnen, erzählt der
ehemalige Londoner Bürgermeister am Dienstagabend in der einzigen
TV-Debatte mit seinem Konkurrenten Jeremy Hunt beim Sender ITV. Er
merkt nicht, dass er sich gerade im Jahr vertan hat. Das Referendum
war schon 2016.

Es ist diese Achtlosigkeit für Details, gepaart mit blindem
Optimismus, die ihm nicht nur Außenminister Hunt zum Vorwurf macht.
Johnson will Großbritannien unter allen Umständen am 31. Oktober aus
der EU führen, doch seine Pläne dafür sind bislang nebulös. «Als

Premierminister geht es darum, den Leuten zu sagen, was sie hören
müssen, nicht was sie hören wollen», kritisiert Hunt.

Johnson kontert mit dem Vorwurf, Hunt verbreite Mutlosigkeit. «Ich
glaube, dieses Land braucht ein bisschen Optimismus», ruft er unter
dem Beifall der Zuschauer dazwischen. Mit schlagfertigen Reaktionen
wie dieser, oft mit etwas Ironie versehen, hat Johnson immer wieder
die Lacher auf seine Seite.

Fragen an ihn bleiben dabei oft unbeantwortet. Zum Beispiel, wie er
das dreimal im Parlament gescheiterte Brexit-Abkommen mit der EU neu
verhandeln wolle, obwohl Brüssel wieder und wieder klargemacht hat,
dass es keine Nachverhandlungen geben wird. Oder wie er die EU dazu
zu bringen gedenke, Großbritannien eine Übergangsfrist nach dem
Brexit zu gewähren, ohne dass London seine Schlussrechnung aus der
Zeit der EU-Mitgliedschaft begleicht.

Nicht greifbar ist Johnson auch bei der Frage, ob er den britischen
Botschafter in Washington, Kim Darroch, entlassen würde, der mit
seinem vernichtenden Urteil über Donald Trump beim US-Präsidenten in
Ungnade gefallen war. Der Diplomat hatte die Trump-Regierung in
vertraulichen Depeschen unter anderem als «unfähig» bezeichnet. Die
Emails wurden später an die Presse weitergegeben. Während sich Hunt
klar hinter seinen Diplomaten stellt, sagt Johnson, er wolle nicht so
«vermessen» sein, diese Entscheidung vorwegzunehmen.

Als der Botschafter tags darauf seinen Posten räumt, ist die Kritik
an Johnson groß. Medien spekulierten, Johnsons Äußerung könnte den

Ausschlag für die Entscheidung des Botschafters gegeben haben.
Außen-Staatssekretär Alan Duncan wirft ihm vor, er habe Darroch
fallengelassen. Trump hatte den Botschafter in mehreren
Twitter-Tiraden als «dummen Kerl» und «aufgeblasenen Deppen»
bezeichnet. Auch May hatte er scharf für ihren Brexit-Kurs
angegriffen.

Ebenfalls auf heftigen Protest stößt die Weigerung Johnsons,
auszuschließen, dass er das Parlament mit einem Verfahrenstrick
vorübergehend aussetzt, um einen No-Deal-Brexit durchzuboxen.
Johnsons Parteikollege und Ex-Premierminister John Major kündigt in
einem BBC-Radiointerview am Mittwoch sogar rechtliche Schritte gegen
die Regierung an, sollte Johnson einen solchen Versuch machen.

Für den Fall eines Brexits ohne Abkommen wird mit schweren
Konsequenzen für die Wirtschaft und viele weitere Lebensbereiche
gerechnet. Johnson hält das aber zu großen Teilen für Panikmache. Ihm

zufolge stehen die Chancen, dass es zu einem No-Deal-Brexit kommt,
«eins zu eine Million».

Wer nächster Chef der konservativen Partei und damit Premierminister
wird, entscheiden die etwa 160 000 Tory-Mitglieder in diesen Tagen
per Briefwahl. Es wird davon ausgegangen, dass viele ihre
Entscheidung bereits getroffen haben. Auch wenn Johnson als kaum noch
zu schlagen gilt - das Ergebnis der Wahl soll erst am 23. Juli
feststehen.