Krise als Chance? Warum Söders CSU weiter an Europa und Weber glaubt Von Marco Hadem und Christoph Trost, dpa

11.07.2019 12:59

Für die Christsozialen war es wie im Traum. Einer der ihren kämpft um

den mächtigsten EU-Posten. Am Ende vergebens. Für Parteichef Söder
ist es trotz jeder Menge Frust aber eine gute Basis für die Zukunft.

München/Brüssel (dpa) - Eine solche proeuropäische Euphorie gab es in

der CSU noch nie. Wurde die Europäische Union 2014 im Wahlkampf der
Christsozialen zum Teil noch als Gefahr für Bayerns Erfolg und
Identität gesehen, legte die Partei 2019 eine radikale Kehrtwende
hin: Nun war Europa die große Chance, hinter ihrem Spitzenkandidaten
Manfred Weber profilierte sich die CSU als Teil der Europäischen
Volkspartei zum Verteidiger der europäischen Werte gegen wachsenden
Nationalismus und Extremismus. Die diametralen Herangehensweisen
haben aber eines gemeinsam: Nach beiden Wahlen muss die CSU
schmerzliche Erfahrungen verarbeiten.

Anders als beim Absturz in der Wählergunst 2014 sitzt der Schock in
diesem Jahr aber tiefer in der Parteiseele. Der am Ende für Weber und
die CSU erfolglose Poker um den Posten des Kommissionspräsidenten
zeigte der Partei nicht nur unmissverständlich die Grenzen der
eigenen politischen Macht auf, sie förderte auch auf allen Ebenen in
der Partei verdrängte Ressentiments gegen die EU und bei einigen auch
gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) neu zu Tage.

«Die Enttäuschung ist mehr als verständlich. Ich habe es auch als
bittere Niederlage der Demokratie empfunden», fasst Parteichef Markus
Söder die Situation zusammen. Nach dem was er wisse, könne die CSU
der Bundeskanzlerin aber keinen Vorwurf machen. Damit stößt er aber
in der eigenen Partei teils auf Widerstand. Für Söder ist dies keine
leichte Situation, immerhin hat er sich im Europawahlkampf als
Parteichef klar positioniert und muss nun die Scherben mit
zusammenfegen. Und mehr noch - wie Weber muss auch er es schaffen,
von der Leyen bei den eigenen Anhängern als bestmögliche Alternative
für den EU-Spitzenposten zu verkaufen, ohne die eigene
Glaubwürdigkeit dauerhaft zu beschädigen.

In der Partei müsse die Enttäuschung offen artikuliert werden, sagt
Söder über den Spagat. «Was aber trotzdem wichtig ist - und das
schafft die CSU - man muss die richtige Balance zwischen Enttäuschung
und Verantwortung zeigen.» Wie dies gehe, zeige sich am besten an
Weber, der seine eigenen Karrierepläne zugunsten Europas und der EVP
hinten anstelle und nun von der Leyen unterstütze. Söder: «Das führ
t
dazu, dass die CSU den Weg auch schweren Herzens mitgehen sollte.»

Wie es Söders Art ist, geht er in der Argumentation zudem gleich
einen Schritt weiter und verknüpft die Enttäuschung mit einem
Arbeitsauftrag für die Zukunft: «Die Prozesse der letzten Wochen
haben offenbart, dass Europa schon vor einer institutionellen
Herausforderung steht zwischen Rat und Parlament.» Es gebe einen
großen Reformbedarf, der Kontinent müsse zusammengeführt werden: «D
a
Bayern im Herzen von Europa ist, bleibt unser proeuropäischer Kurs
nicht nur bestehen, wir kämpfen für die Ideale auch weiter.»

Konkret heißt dies für Söder und die CSU, dass das Spitzenpersonal
nicht noch einmal in «Hinterzimmern» von den Staatschefs bestimmt
werden dürfe, sondern von den Wählern mit der Stimmabgabe vorgegeben
werde müsse: «Das Spitzenkandidaten-Prinzip hatte das Problem, dass
es eine politisch gewollte Konzeption war, die aber rechtlich nicht
abgedeckt war in den Verträgen. Deswegen müssen alle mithelfen, die
Verträge zumindest weiterzuentwickeln, damit das
Spitzenkandidaten-Konzept in fünf Jahren besser zum Tragen kommt.»

Eine Änderung der Europäischen Verträge hält Söder zwar für
schwierig, aber wegen der weltpolitischen Gemengelage zwischen den
USA, China und Russland nicht für unmöglich: «Der Druck von außen u
nd
die Notwendigkeit etwas zu verändern sind so groß, dass am Ende auch
Mehrheiten zustande kommen werden.» Leider sei Deutschland im Moment
wegen der «Lähmung der SPD» in der großen Koalition im eigenen Land

und in Europa nur bedingt handlungsfähig.

Doch sogar Weber könnte laut Söder in Zukunft von der aktuellen Lage
der CSU profitieren, denn aus Söders Sicht hat der Niederbayer bei
der nächsten Europawahl eine zweite Chance verdient: «Er hat meine
Unterstützung.» Trotz des negativen Ausgangs jetzt hätten Weber und
die CSU in den vergangenen Wochen viel Achtung und Respekt gewonnen.
Für Webers Karriere könne der Verzicht daher durchaus nur ein
Zwischenschritt sein. «In politischen Karrieren geht nicht alles auf
Anhieb. Das Ziel Kommissionspräsident in fünf Jahren erneut
anzustreben ist mehr als realistisch.»