Feuer frei - SPD-Politiker greifen von der Leyen an Von Ansgar Haase, Carsten Hoffmann und Michel Winde, dpa

11.07.2019 18:34

Am Dienstag wird das EU-Parlament über Ursula von der Leyen als
mögliche neue Präsidentin der EU-Kommission abstimmen. Die SPD ist
heftig dagegen und wird teils auch persönlich. Das könnte der Partei
allerdings auch noch auf die Füße fallen.

Berlin/Brüssel (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel springt der deutschen
Kandidatin für das EU-Spitzenamt, Ursula von der Leyen, ungewöhnlich
deutlich zur Seite. Nach einem «Informationspapier», das
SPD-Gruppenchef Jens Geier zur Anhörung von der Leyens im
Europaparlament verteilen ließ, fordert die Kanzlerin am Donnerstag
Mäßigung und einen vernünftigen Umgang ein. Die Situation in der
großen Koalition sei «nicht einfach».

Die zwei eng bedruckten Seiten aus der Brüsseler SPD-Feder haben es
in sich. «Affäre», «Skandal», «Anschuldigungen», «mangelnde
r
Rückhalt» und «Plagiat» sind die Worte, mit denen die
EU-Kommissionspräsidentin in spe in dem Papier Verbindung gebracht
wird. «Warum Ursula von der Leyen eine unzulängliche und ungeeignete
Kandidatin ist», lautet die Überschrift.

Beschrieben werden in dem zweiseitigen, in englischer Sprache
verfassten Text unter anderem die Berater-Affäre um den Einsatz
externer Fachleute bei der Modernisierung der Bundeswehr und die
«Kostenexplosion» bei der Sanierung des Marineschulschiffes «Gorch
Fock». Zudem thematisieren die Autoren noch einmal den nach einer
langen Prüfung ausgeräumten Vorwurf, wonach von der Leyen wegen
Plagiaten in ihrer Dissertation zu Unrecht einen Doktortitel führt.

Das Ziel, das Geier mit dem «Informationspapier» verfolgt, ist damit
klar. Er will Sozialdemokraten und Sozialisten aus anderen EU-Staaten
davon überzeugen, am kommenden Dienstag bei der Abstimmung im
Europaparlament gegen die CDU-Politikerin zu stimmen. Sollten mehr
als die Hälfte der 153 Abgeordneten aus der sozialdemokratischen
Fraktion von der Leyen ihre Unterstützung verweigern, könnte es knapp
für die derzeitige Bundesverteidigungsministerin werden.

374 Stimmen braucht sie, um wie von den europäischen Staats- und
Regierungschefs gewünscht die Nachfolge von Jean-Claude Juncker
antreten zu können. Von der Leyens europäische Parteienfamilie EVP
kommt im Parlament allerdings selbst nur auf 182 Sitze, die Liberalen
sogar lediglich auf 108. Grüne und Linke haben bereits angekündigt,
von der Leyen die Unterstützung zu verweigern.

Wer die deutschen Sozialdemokraten fragt, warum sie um jeden Preis
verhindern wollen, dass mit von der Leyen zum ersten Mal seit mehr
als 50 Jahren wieder jemand aus Deutschland an die Spitze der
EU-Kommission rückt, bekommt vor allem immer wieder das Wort
«Spitzenkandidatensystem» zu hören.

Dass das Parlament damit gegen den Willen der ebenfalls demokratisch
gewählten Staats- uns Regierungschefs ein in den EU-Verträgen nicht
vorgesehenes System etablieren wollte, wird dabei allerdings gerne
verschwiegen - ebenso, dass es gegen die beiden Spitzenkandidaten
große Widerstande im für die Nominierung zuständigen Rat der Staats-

und Regierungschefs gab.

Gegen den deutschen CSU-Politiker Manfred Weber stellte sich so unter
anderem der französische Präsident Emmanuel Macron. Dem
sozialdemokratischen Spitzenkandidat Frans Timmermans fehlte die
Rückendeckung vor allem von Ländern wie Ungarn und Polen, aber auch
einiger christdemokratischer Regierungen.

Vor dem entscheidenden EU-Gipfel gelang es im Parlament weder
Timmermans noch Weber eine absolute Mehrheit für sich zu
organisieren. Und die europäischen Sozialdemokraten wollten nicht von
ihrem Kandidaten Timmermans abrücken, obwohl sie bei der Europawahl
nur zweitstärkste politische Kraft geworden waren.

Lautstark hatte schon Ex-SPD-Chef und Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel
auf die Nominierung von der Leyens reagiert. Er machte im «Spiegel»
einen «beispiellosen Akt der politischen Trickserei» aus, forderte
eine Entscheidung des Bundeskabinetts als nötige Grundlage ein und
machte die Nominierung gar zu einem «Grund, die Regierung zu
verlassen». Die Bundesregierung widersprach.

Die europäischen Sozialdemokraten sind gespalten. Weil die Staats-
und Regierungschefs der Parteienfamilie den Von-der-Leyen-Deal im
Gegenzug für andere Posten mittrugen, wird damit gerechnet, dass
Abgeordnete aus Ländern wie Spanien, Portugal oder Dänemark für die
Deutsche stimmen. Die deutschen Sozialdemokraten stellen in der neuen
Legislaturperiode nur noch 16 der 153 Fraktionsmitglieder.

In Berlin trat Merkel am Donnerstag mit der dänischen
Ministerpräsidentin Mette Frederiksen vor die Presse. «Als
Sozialdemokratin unterstütze ich Frau von der Leyen als neue
Kommissionspräsidentin», sagte diese. Das Gesamtergebnis der
Verhandlungen der Regierungschefs sei gut.

Bleiben die deutschen Sozialdemokraten womöglich am Schluss recht
allein? Oder wenn nicht, stehen sie dann als die da, die womöglich
eine Deutsche auf dem höchsten EU-Posten verhindert haben? Gehören
sie also bei Sieg oder Niederlage von der Leyens zu den Verlierern?
Der SPD-Politiker Geier wies am Donnerstag den Vorwurf zurück, eine
Schmutzkampagne gestartet zu haben. «Wir sehen aus vielen Reaktionen,
dass die Zusammenstellung in dieser Zuspitzung missverständlich als
Versuch der öffentlichen persönlichen Beschädigung verstanden wird.
Das war nicht beabsichtigt», teilte er mit.

Die SPD-Spitze in Berlin jedenfalls will von all dem nichts gewusst
haben. Die Parteiführung sei über die «Zusammenstellung
presseöffentlicher Kritik» an von der Leyen nicht informiert gewesen,
sagte der kommissarische Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel der
«Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Und weiter: «Haltungsnoten
vergeben die drei kommissarischen Vorsitzenden grundsätzlich nicht.
Sie haben weder eine Zusammenstellung beauftragt noch würden sie sie
jemals beauftragen.»