UN fordern EU-Länder zu neuen Rettungsaktionen im Mittelmeer auf

12.07.2019 11:18

Die im Mittelmeer dümpelnden Schiffe mit geretteten Migranten an
Bord, das Gezerre darum, in welchen Hafen sie fahren dürfen - für die
Vereinten Nationen sind das unwürdige Zustände. Sie fordern die
Europäer endlich zum Umdenken auf.

Genf (dpa) - Frustriert über die Flüchtlingspolitik im Mittelmeer
haben die Vereinten Nationen erneut dringend an die europäischen
Regierungen appelliert, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Statt über
die Verteilung von geretteten Migranten zu streiten und Schiffen mit
Flüchtlingen tagelang die Hafeneinfahrt zu verweigern, sollten sie
vielmehr wie früher staatliche Rettungseinsätze starten.

Das verlangten der Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Filippo
Grandi, und der Chef der Organisation für Migration (IOM), Antonio
Vitorino, am Donnerstagabend in einer Erklärung in Genf. Zudem seien
dringend mehr Aufnahmeplätze für in Libyen Gestrandete nötig.

«In der Vergangenheit haben staatliche europäische Schiffe bei Such-
und Rettungsaktionen Tausende Leben gerettet, auch, indem sie die
Menschen sicher ans Land brachten. Sie sollten diese wichtige Arbeit
wieder aufnehmen», sagten Grandi und Vitorino. Hilfsorganisationen
dürften nicht wegen der Rettung von Menschen bestraft und
Handelsschiffe nicht angewiesen werden, die Menschen nach Libyen
zurückzubringen.

Das Bürgerkriegsland sei keine Option. Dort gerieten die Menschen in
Lager mit unhaltbaren Zuständen, ihnen drohe Misshandlung und
Ausbeutung durch Menschenhändler. Eine Tragödie wie der Tod von mehr
als 50 Migranten, die vergangene Woche bei einem Raketeneinschlag im
Internierungslager Tadschura östlich der Hauptstadt Tripolis umkamen,
dürfe sich nie wiederholen. Das Gebiet ist seit Beginn der Offensive
von General Chalifa Haftar, der die Regierung in der Hauptstadt
stürzen will, heftig umkämpft.

Mit ihrem neuen Appell geißelten die UN-Chefs direkt die italienische
und die EU-Politik. Die Regierung in Rom hat gerade angekündigt, dass
sie die von der EU unterstützte Zusammenarbeit mit der libyschen
Küstenwache ausbauen will. Die Italiener wollen die Küstenwache noch
besser ausbilden und ihr Material zur Verfügung stellen, damit sie
Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer abfängt und in
das Bürgerkriegsland zurückbringt.

Von Januar bis zum 12. Juli sind nach Angaben der IOM im Mittelmeer
nachweislich 682 Migranten ums Leben gekommen, 426 auf der Route nach
Europa von Libyen aus. Das ist weniger als halb so viel wie in der
gleichen Zeitspanne im vergangenen Jahr (1425), und weniger als
ein Viertel der Todesfälle im Rekordjahr 2016 (2989). Nothelfer
glauben aber, dass nicht alle gekenterten und untergegangenen Boote
entdeckt werden, deshalb könnte die wahre Zahl höher liegen.

Nach Angaben von UNHCR und IOM halten sich in Libyen rund 50 000
registrierte Flüchtlinge und Asylsuchende auf, ebenso wie 800 000
weitere Migranten. Flüchtlinge sind nach UN-Definition Menschen, die
vor Gewalt oder Verfolgung flüchten, andere Migranten suchen ein
besseres Leben im Ausland.

Alle diese Menschen müssten besser geschützt werden, verlangten
Grandi und Vitorino. Dazu brauchten die UN-Organisationen Geld.
Gleichzeitig müssten Länder aber auch dringend mehr Aufnahmeplätze
für in Libyen Gestrandete zur Verfügung stellen.

Nach Angaben des UNHCR brauchen weltweit bis nächstes Jahr 1,44
Millionen Flüchtlinge eine neue Bleibe. Sie lebten vorübergehend in
60 Ländern, die ihnen keine Langzeitperspektive bieten könnten. Im
vergangenen Jahr hätten aber nur 25 Länder zusammen 92 400
Flüchtlinge permanent aufgenommen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert bei der Verteilung der aus
dem Mittelmeer geretteten Migranten mehr Solidarität in der EU. «Die
Bundesregierung drängt jetzt darauf, dass innerhalb der Europäischen
Union ein tragfähiger, verlässlicher und solidarischer
Verteilungsmechanismus gefunden wird, an dem sich möglichst viele
EU-Partner beteiligen sollten», sagte der Parlamentarische
Staatssekretär im Ministerium, Stephan Mayer (CSU), diese Woche der
«Passauer Neuen Presse».